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Corona wird die Banken verändern – Gerhard Wiesheu

Mitten in der Pandemie bekommt die Finanzbranche einen neuen Sprecher. Gerhard Wiesheu sieht auf den Finanzplatz eine große Welle zurollen – und hofft im Gespräch auf mehr Unterstützung.

Welcher Finanzplatz ist derzeit führend in der Europäischen Union?

Das ist eindeutig Frankfurt. Da wir in Frankfurt im Zuge des Brexits allein fast 60 Lizenzen für Finanzinstitute vergeben haben, und wenn man beachtet, wie viel im Rahmen des Euro-Clearing bereits nach Frankfurt geflossen ist, stehen wir äußerst gut da. Und das war ja auch erst der Anfang. Wir haben in Sachen Brexit eine Pole Position inne, aber wir müssen uns weiter anstrengen. Ich bin überzeugt, dass die entscheidende Phase für Verlagerungen nach dem Brexit erst noch kommt. Nach dem Vollzug des Austritts haben viele Banken ihren Plan B aktiviert, und der sieht einen neuen Sitz innerhalb der EU vor.

Warum ist es wichtig, dass es jemanden gibt, der für den Finanzplatz spricht?

Der Finanzplatz besteht aus sehr vielen Akteuren, vom Regulator über die Börse, die Banken bis hin zu den Fintechs. Da braucht es eine zentrale Stelle, die alle diese Protagonisten zusammenbringt. Diese Plattform, der ich als Präsident von Frankfurt Main Finance nun vorstehe, muss die unterschiedlichen Interessen an einem Finanzplatz zu einer gemeinsamen Linie zusammenfassen. Es geht darum, den Finanzplatz nach innen zu einen und nach außen zu vermarkten. Und natürlich müssen wir uns auch um die Infrastruktur kümmern, die es braucht, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn die Konkurrenz innerhalb der Finanzplätze ist groß.

Wer hat das Interesse an solch einer Plattform, eher die Banken oder die Politik?

Die meisten großen Akteure am Frankfurter Finanzplatz sind Mitglied bei Frankfurt Main Finance. Den Häusern ist klar, dass man mit einer Stimme nach außen hin mehr erreichen kann als jeder für sich selbst, zum Beispiel bei der Frage nach der nötigen Infrastruktur für Banken, aber auch bei Rahmenbedingungen wie der Regulierung. Umgekehrt haben auch Stadt, Land und Bund ein Interesse an einem starken Finanzplatz Frankfurt.

Müssten sich nicht besser die Finanzplätze auf dem Kontinent zusammentun mit Blick auf Standorte und Märkte in den Vereinigten Staaten und in Asien?

Deshalb haben wir kürzlich das Netzwerk „Germany Finance“ gegründet, wo alle Finanzplätze des Landes an einem Tisch sitzen. Ich habe zehn Jahre lang in Tokio gelebt. Ich habe in dieser Zeit immer wieder erlebt, dass es aus Sicht der Asiaten, die in sehr großen Einheiten denken, die Zersplitterung in Europa, aber auch im föderalen System in Deutschland, seltsam ist. Die wundern sich, dass sie ständig neue Ansprechpartner haben. Umso wichtiger ist es, dass etwa die Finanzplätze in Deutschland nun eine gemeinsame Stimme haben.

Das dürfte aus asiatischer Perspektive immer noch provinziell klingen.

Wichtig ist, dass wir innerhalb der Europäischen Union im Gespräch bleiben. Aber am Ende stehen die Finanzplätze Europas, gerade nach dem Brexit, in starker Konkurrenz. Schlussendlich wird es kein einheitliches europäisches Finanzzentrum geben, sondern idealerweise eine freundschaftliche Konkurrenz.

Es gibt immer wieder Stimmen, wonach andere Finanzplätze in Europa im Brexit-Rennen finanziell besser ausgestattet sind, wie kann das sein?

Es ist richtig: Paris – und London ohnehin – hat ganz andere finanzielle Mittel und personelle Kapazitäten, um als Finanzplatz auf sich aufmerksam zu machen. Und das wird in naher Zukunft vermutlich auch so bleiben, weil sich der Staat dort stärker engagiert und die privaten Institutionen auch stärker verpflichtet, mitzumachen und sich finanziell zu engagieren. Das geht bei uns so leider nicht.

Weshalb nicht? Die Region ist finanzstark, der Finanzplatz beschäftigt rund 70.000 Mitarbeiter, die Branche ist identitätsstiftend und enorm wichtig für die Region.

Na ja, mehr Geld ist nicht immer besser. Das zeigt sich auch in der Pharmaforschung, wo nicht immer die großen Konzerne die echten Blockbuster hervorbringen. Aber Sie haben recht, wenn wir uns besser aufstellen wollen, müssten die Mitglieder der Finanzplatzinitiative mehr Geld einzahlen, und wenn man sich diesen Kreis anschaut, wäre sicherlich auch mehr drin. In der Finanzkrise 2008/09 haben viele Finanzinstitute keinen guten Job gemacht, die Folge war ein enormer Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Als Politiker gewinnt man keinen Wahlkampf mit der Aussage, man brauche starke Banken oder einen starken Finanzplatz. Wir müssen die Bevölkerung überzeugen, wie wichtig ein starker Finanzsektor ist, dann bekommen wir auch das Vertrauen zurück. Dieses Vertrauen müssen wir zurückgewinnen. Vielleicht bekommen die Branche und wir als Finanzhauptstadt Deutschlands dann auch mehr Unterstützung seitens der öffentlichen Hand.

Klingt nach einem weiten Weg.

Der Finanzplatz ist schon heute sehr gut aufgestellt, weil wir hier tagtäglich eng miteinander kooperieren. Ich möchte noch mal auf den Blick zum Beispiel aus Asien auf Frankfurt hinweisen. Viele Bankenvertreter, die nach dem Brexit hierher gekommen sind, waren zum Beispiel begeistert davon, wie gut vorbereitet die Regulatoren waren, um die Ansiedlung internationaler Banken möglich zu machen. In der Region wird an ganz vielen Stellen gut daran gearbeitet, den Finanzplatz zu stärken. Diese einzelnen Akteure möchte ich noch besser miteinander vernetzen.

Es ist kaum zu erwarten, dass es in naher Zukunft ruhig werden wird um die Branche. Niedrigzinsen, Digitalisierung, Konsolidierung, die drohenden Kreditausfälle in der Pandemie: Die Zahl der Herausforderungen in der Branche ist groß.

Es stimmt, der Berg an Aufgaben ist hoch. Wir befinden uns in einer großen Transformation, die vieles verändern wird. Als Präsident von Frankfurt Main Finance möchte ich dazu beitragen, dass es unter anderem zu Kooperationen kommt, die der Branche hier in Frankfurt als Ganzes nutzen. Vor einigen Jahren zum Beispiel hat man gesagt, dass Fintechs die Banken plattmachen wollen. Heute arbeiten wir daran, beide Seiten zusammenzubringen. Dennoch wird es eine Konsolidierung auf paneuropäischer Ebene geben, die wir auch in Frankfurt spüren werden.

Betrifft das auch die Flaggschiffe am Standort, Deutsche Bank und Commerzbank?

Zu einzelnen Instituten kann ich nichts sagen. Es ist aber gut und wichtig, solche Leuchttürme an einem Finanzplatz zu haben. Konzerne, die man mit der Finanzbranche in Frankfurt verbindet. Und da sollten Sie die Deutsche Börse nicht vergessen.

Die Schlagzeilen um beide Banken könnten besser sein.

Man darf nicht vergessen, dass es nach der Finanzkrise zu großen Umstrukturierungen und neuen Geschäftsmodellen kommen musste. Sicher stecken beide Unternehmen in diesem Prozess noch ein Stück weit drin. Es sind schwierige Zeiten, auch für die Banken. Aber am Ende zeigen sie doch gerade jetzt in der Corona-Krise, dass man sich auf sie verlassen kann, dass die staatlichen Hilfsgelder durch sie zu den Menschen finden. Es lohnt sich, für diese Branche und ihre Zukunft zu kämpfen.

Die Corona-Krise könnte für die Banken noch schlimme Folgen haben.

Es wird einiges auf uns zukommen, das ist sicher. Bloß wissen wir zurzeit noch nicht, wie groß die Welle sein wird. Aber mich macht optimistisch, und das ist der Unterschied zur Situation in der Finanzkrise, dass die Banken heute viel besser kapitalisiert und deshalb viel weniger anfällig sind – auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt. Die Corona-Pandemie wird den Finanzplatz zwar verändern, ich bin aber fest davon überzeugt, dass der Finanzplatz gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird.


Die Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance setzt sich seit ihrer Gründung 2008 dafür ein, Frankfurt als internationales Finanzzentrum zu positionieren. Zu den mehr als 60 Mitgliedern zählen neben dem Land Hessen sowie den Städten Frankfurt und Eschborn zahlreiche Finanzmarktakteure, darunter die Deutsche Bank, die Deutsche Börse und die DZ Bank, aber auch private und öffentliche Hochschulen. Die Initiative setzt sich für die Vermarktung des Standorts ein. Im Oktober 2020 wurde Gerhard Wiesheu zum Präsidenten der Initiative gewählt. Der Neunundfünfzigjährige ist seit 2012 im Vorstand des Bankhauses Metzler und folgt auf Lutz Raettig, der 13 Jahre an der Spitze von Frankfurt Main Finance stand.

Quelle: F.A.Z., 03. März 2021, Daniel Schleidt, © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv

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