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DVFA Kommission veröffentlicht Unternehmensanalyse zu Wirecard

Analyse, Lupe

Am Donnerstag, den 25. Juni 2020, meldete Wirecard als erstes Mitglied des Leitindex DAX Insolvenz an. Seither beschäftigt sich die Investmentgemeinde vor allem mit drei Fragen: Warum wurde der Wirecard-Betrug nicht früher aufgedeckt? War der Wirecard-Betrug vorzeitig erkennbar gewesen? Welche Lehren lassen sich aus dem Wirecard-Betrug ziehen? Die DVFA Kommission Unternehmensanalyse nahm diesen einzigartigen Fall in der Geschichte des deutschen Kapitalmarktes genauer unter die Lupe.

Warum wurde der Wirecard-Betrug nicht früher aufgedeckt?

Die Primärtäter sind gut vernetzt – und in der Regel Ersttäter. Vorstandskriminelle sind Menschen, die normalerweise niemand verdächtigen würde, einen Betrug zu begehen. Zugleich sind Vorstandsbetrüger äußerst sorgfältig, wenn es darum geht, die von Wirtschaftsprüfern angefragten Beweise zu manipulieren oder zu vernichten. Für Dr. Braun war es offenbar relativ einfach, Wirtschaftsprüfer zu manipulieren, die unter Umständen schon aufgrund der Komplexität des Mandanten überfordert waren. So ist es eine gängige Praxis, dass Wirtschaftsprüfer die im Vorjahr geleistete Arbeit einfach nur wiederholen. Details oder selbst das große Ganze in Frage zu stellen – hierfür fehlt ihnen schlichtweg die Zeit.

Knapp ist aber nicht nur die Zeit, sondern auch die Überzeugung. Denn bereits die Confirmation Bias-Theorie zeigt, dass ein Mandant, der das strenge Prüfungsverfahren der Prüfungsgesellschaft in den Vorjahren überlebt hat, vertrauenswürdig sein muss.

War der Wirecard-Betrug vorzeitig erkennbar gewesen?

Wie schon in den Jahren 2001 und 2008 werden nun allenthalben Erklärungen abgegeben, weshalb der Skandal absehbar gewesen sei. Darin offenbart sich ein Defekt, der in der Behavioral Finance als Hindsight Bias bekannt ist. Hindsight Bias führt dazu, dass ein Ereignis nachdem es bekannt wurde, besser vorhersehbar erscheint als dies vor dem Bekanntwerden tatsächlich der Fall war. Im Extremfall könnte es Anleger geben, die auch dann noch der Meinung waren, die Insolvenz von Wirecard sei voraussehbar gewesen, obwohl sich die Aktien des Finanzdienstleistungsunternehmens noch in ihren eigenen Depots oder Portefeuilles befunden haben.

Nun sind Kapitalmarktteilnehmer bei Weitem nicht die einzigen, die dem Hindsight Bias unterliegen. Tatsächlich gibt es über dieses Phänomen zahlreiche wissenschaftliche Studien und Meta-Studien, angefangen von der Einschätzung der Erfolgsaussichten von Firmenneugründungen über die Wahlchancen politischer Spitzenkandidaten hin zu den Ergebnissen sportlicher Wettbewerbe, dem Ereignis von Terroranschlägen oder der Bekanntwerdung medizinischer Diagnosen. Allen ist gemeinsam, dass die dem Hindsight Bias erlegenen Personen eine Entscheidung im Nachhinein anders getroffen hätten als sie diese zum Zeitpunkt der Entscheidung faktisch getroffen haben. Ungeachtet dessen lässt sich das Phänomen gerade erfahrenen Entscheidungsträgern – in vorliegenden Fall Wirecard also Fondsmanagern und Finanzanalysten – nur schwer vermitteln.

Welche Lehren lassen sich aus dem Wirecard-Betrug ziehen?

Betrugsschema hat sich in den vergangenen 300 Jahren wenig geändert. Wie damals besteht Betrug auch heute vornehmlich aus zwei Elementen: Der „Suggestio Falsi“, also der Unterstellung der Falschheit, und der „Suppressio Veri“, der Unterdrückung der Wahrheit. Während Kriminalkommissare, wie oben bereits festgestellt, zur Aufdeckung kniffliger Fälle darauf geschult werden, wie Verbrecher zu denken, um Verbrecher zu fangen, ist diese Herangehensweise für Finanzanalysten und Asset Manager grundsätzlich untypisch. Viele Akteure, insbesondere im Finanzbereich, neigen stattdessen dazu, verhaltensbezogene Erklärungen für Unstimmigkeiten zu vernachlässigen. Da die Folgen des Betrugs – wie Wirecard gezeigt hat – derart gravierend sein können, wäre es nicht nur für die Aufdeckung von Betrugsfällen, sondern auch zur Abschreckung sinnvoll, zusätzliche Ausbildungsschwerpunkte auf verhaltensbezogene Erkenntnistheorien zu legen. Mit anderen Worten, wenn wir das Delikt an sich diskutieren wollen, müssen wir zwangsläufig den menschlichen Faktor des Betrügers mit einbeziehen.

Die vollständige Publikation finden Sie auf der Webseite der DVFA – Kommission Unternehmensanalyse oder hier als PDF.

Text: © 2020 DVFA e.V.

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