Bereits im Eingangsbereich am Schaumainkai in Frankfurt zeigt sich, dass das Museum keine „klassische“ Ausstellung bietet: Eine Schafherde mit Köpfen aus den grauen Telefonen der sechziger Jahre und mit einem Fell aus Spiral-Telefonschnüren begrüßt Besucherinnen und Besucher. Für Ältere ist das Nostalgie pur, für Jüngere das Eintauchen in eine ferne Zeit.
Mediengeschichte(n) neu zu erzählen, ist Ziel des Museums. Im Untergeschoss schaffen 44 Themeninseln zu vier zentralen Phänomenen, Beschleunigung, Vernetzung, Kontrolle und Teilhabe, vielfältige Anreize, sich mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Kommunikation zu beschäftigen. Dabei steht nicht die Technik selbst im Mittelpunkt, sondern wie sie von Menschen genutzt wird. Das Museum möchte im heutigen Zeitalter der digitalen Transformation nicht zuletzt Medienkompetenz vermitteln.




(links nach rechts): Vor dem Eingang: Pre-Bell-Man (Nam Jo Pam, 1990), Im Foyer: „Telefonschafe“ (Jean Luc Cornet, TribuT, 1989), 44 Themeninseln für das „Surfen“ nach den individuellen Interessen, 21 Videostelen zur Digitalisierung im 21. Jahrhundert
Von König Hammurabi bis Mark Zuckerberg
Beim Rundgang begegnen einem viele bekannte und unbekannte Persönlichkeiten: Der Babylonier Hammurabi veröffentlichte rund 1800 v.Chr. seine Rechtsordnung auf einer über zwei Meter hohen Stele in Keilschrift. Ein unbekannter Klosterbote benachrichtigte auf einer zehnmonatigen Reise zu Anfang des 16. Jahrhunderts 240 andere Klöstern und Kirchen zwischen Rheinland und Tirol über den Tod von Mönchen und ließ sich den Besuch auf einer Totenrotel bestätigen. Johann Wolfgang von Goethe sandte ab 1781 zahllose kurze Liebesbriefe an Charlotte von Stein, bei denen das Museum fragt, ob er heute dazu SMS genutzt hätte.
Philipp Reis stellte in Frankfurt am Main am 26. Oktober 1861 den Prototypen eines Fernsprechers vor, verlor wenige Jahre später leider den Wettbewerb gegen Alexander Graham Bell. Adolf Hitler musste bei seinen Massenkundgebungen ab 1933 sein Redetempo zügeln, um Nachhall und Echo der Großlautsprecher zu vermeiden. Radioreporter Herbert Morrison war am 6. Mai 1937 Zeuge des Zeppelin-Brandes in Lakehurst und berichtete so erstmals live im Radio über eine Katastrophe. Mark Zuckerberg initiierte 2004 mit den sozialen Medien eine völlig neue Form der Vernetzung von Milliarden Menschen.
In 4 Stunden oder in Echtzeit von Frankfurt nach Berlin
Faszinierend vollzieht die Ausstellung nach, wie sich die Kommunikation im Lauf der Jahrhunderte beschleunigt und neue Plattformen für die Vernetzung geschaffen hat. Wer persönlich von Frankfurt nach Berlin zu einem Besuch reisen wollte, benötigte 1680 mit der Landkutsche 14 Tage, während die Fahrt mit dem ICE Sprinter heute knapp 4 Stunden dauert und so ermöglicht, nach der Hinreise am Morgen bereits gegen Abend wieder zurück in Frankfurt zu sein.
Wer nur eine Nachricht oder – im heutigen Sprachgebrauch – Daten übermitteln wollte, war auf Boten angewiesen, deren Tempo nicht zuletzt von der Möglichkeit zum Pferdewechsel bestimmt war. Kurze Nachrichten wurden ab dem 18. Jahrhundert mit Hilfe von Masten mit beweglichen Holzflügeln auf Bergen und Anhöhen übermittelt, bevor mit Morse, Telegrafie und Telefonie im 19. Jahrhundert die Neuzeit eingeleitet wurde. Heute sind Millisekunden zum Standard geworden.
Zu den Ausstellungsstücken zählen eine prächtige Postkutsche, ein elektrischer Kraftwagen der Post von 1925, eine Tonscherbe mit einer Grundschuldquittung aus dem Jahr 131 n. Chr., Ticker zur Übermittlung von Börsenkursen um 1900, Briefkästen, Briefverteilanlagen, Morseapparate, Telefone, Chiffriermaschinen, ein Phonograph von Thomas Edison, eine Fernsehkamera für die Olympischen Spiele 1936, Konzerttruhen aus den 50er Jahren wie auch Mobiltelefone und Smartphones aus den jüngst vergangenen Jahren. Eine Themeninsel beschäftigt sich mit Falschmeldungen und Bildmanipulationen aus früheren Jahrzehnten und schlägt damit den Bogen zu den Fake News der Gegenwart.
Die „klassische“ Post (von links): Original-Postkutsche (Räderschlitten, 1890), Erster Kraftpostbus für Linienverkehr (1905), VW Kleinlieferwagen „Fridolin“ (1964-1974), Postschilder vergangener Zeiten
Sprach- und Bildübertragung (von links): Wandtelefone (um 1900), Funkverkehr beim Untergang der Titanic (1912), Fernsehkamera für Außenaufnahmen der Olympischen Spiele (1936), Lautsprecher vom Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (1937)
Mit welchen Gefühlen in die Zukunft?
Dem Blick in die Zukunft widmet das Museum breiten Raum. Zur Einschätzung des digitalen Wandels hatte das Museum 21 Expertinnen und Experten eingeladen, ihre Sicht auf Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Digitalisierung darzustellen – realisiert in 21 Stelen mit Videobotschaften. Eine Themeninsel zur Künstlichen Intelligenz wird in naher Zukunft folgen. Darüber hinaus bietet das Museum Jugendlichen und Erwachsenen medienpädagogische Workshops und ausgewählte Veranstaltungen zur Digitalisierung an.
Überhaupt zieht sich Interaktion wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Man kann analysieren, welcher „Vernetzungs-Typ“ man selbst ist, sich ein Anti-Stress-Rezept ausdrucken lassen, Kommentare zu Exponaten in einem kleinen Tonstudio aufzeichnen, ein Wandtelefon nutzen, das mit Mast und Kabel mit einer zweiten Sprechstelle verbunden ist. Eine Museumsaufsicht im klassischen Sinn gibt es nicht. Blau gekleidete Damen und Herren stehen für individuelle Fragen und Informationen bereit.
Fast eine ganze Etage ist Kindern vorbehalten. In einer Werkstatt können junge Gäste aus Elektroschrott ihre Sicht auf Kommunikation entwickeln. Wer im Regal schaut, findet einen „verliebten Elektrofanten“ ebenso wie ein „lustiges Telefon“, mit dem man mit Toten sprechen kann. Auf dem Dach betreibt der Deutsche Amateur-Radio Club eine Funkstation, von der aus mittels eines Satelliten in 36.000 km Höhe über dem Indischen Ozean bereits Kontakte in alle Welt hergestellt wurden.
Links: Von Kinderhand aus Elektroschrott: der „verliebte Elektrofant“ Rechts: Zur individuellen Beantwortung: Welcher „Vernetzungstyp“ sind Sie?
Vom „Postmuseum“ zum „Museum für Kommunikation“
Der Ursprung des Einrichtung liegt in der Auslagerung von Beständen des Berliner Postmuseums im Zuge des Zweiten Weltkrieges nach Hessen. 1958 wurde in einer Gründerzeitvilla das „Bundespostmuseum“ eröffnet. 1990 wurde es durch den heutigen preisgekrönten Museumsneubau von Günter Benisch erweitert, bei dem Grünflächen und alter Baumbestand erhalten bleiben sollten, weshalb die Dauerausstellung unterirdisch angelegt wurde.
Das Museum gehört zur bundesunmittelbaren Museumsstiftung Post und Telekommunikation, die 1995 im Zuge der bundesdeutschen Postreform geschaffen wurde. Finanziell getragen wird das Museum von der Deutsche Post AG und der Deutschen Telekom AG.
Informationen
Das Museum für Kommunikation am Schaumainkai in Frankfurt ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr (mittwochs bis 20 Uhr) geöffnet. Seit 21. März untersucht die Sonderausstellung „New Realities: Fashion Fakes – KI Fabriken“ die Verbindung zwischen Mode, Fotografie und KI-Visualisierung. Neben Sonderausstellungen ist ab 17. April auch wieder die Galerie mit Kunstwerken zur Kommunikation, z.B. mit Werken von Christo und Dali, geöffnet. Für Liebhaber von historischen Postfahrzeugen und Objekten aus der Post- und Telekommunikationsgeschichte werden regelmäßig Führungen durch das Sammlungsdepot in Heusenstamm angeboten.
Mehr Informationen unter www.mfk-frankfurt.de
Text und Fotos: Dr. Wolfgang Gerhardt.