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Meilenstein für Frankfurts Internationalität und Weltoffenheit

Das Gebäude der Europäischen Zentralbank ist zu einem Wahrzeichen Frankfurts geworden. Fotos zeigen meist nur den spektakulären Doppel-Büroturm. Das Gebäudeensemble umfasst aber auch die ebenso spektakuläre ehemalige Großmarkthalle. Die Halle ist wiederum ein Wahrzeichen des „Neuen Frankfurt“, das 2025 sein 100jähriges Jubiläum feiert.

Im Jahr 1925, wenige Monate nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister, startete Ludwig Landmann mit einem revolutionären Stadterneuerungsprogramm. Landmann wollte mit dem Bau neuer Siedlungen die verheerende Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg und nach der Hyperinflation in Frankfurt bekämpfen. Zugleich wollte er aber auch die Stadt neu gestalten. Mit dem „Neuen Frankfurt“ entstand vor hundert Jahren eine Bewegung, die am Gemeinwohl orientiert war und ebenso Maßstäbe in Design und Architektur setzte.

Das „Neue Frankfurt“ hat die „Grundlagen dafür gelegt, dass Frankfurt heute eine internationale, weltoffene Wirtschaftsmetropole ist“, sagt der heutige Dezernent für Planen und Wohnen, Prof. Marcus Gwechenberger. Ludwig Landmann habe mit seinem Team „Frankfurt im europäischen Verkehrssystem positioniert, die Messe reaktiviert, neue Quartiere gebaut, wichtige Grünflächen angelegt und eine Aufbruchstimmung geschaffen.“

12.000 Wohnungen durch standardisiertes Bauen

Innerhalb von nur fünf Jahren entstanden mehrere Siedlungen mit rund 12.000 Wohnungen. Dazu zählen die Wohnsiedlungen Römerstadt (1927-28), Praunheim (1926-30), Bornheimer Hang (1926-30) oder Westhausen (1929-32). Die kleinen und mittelgroßen kommunalen Wohnungen und Häuser wiesen einen für damalige Verhältnisse hohem Komfort auf: Balkon oder Dachterrasse, Elektro- und Radioanschlüsse, Zentralheizung und Badezimmer und Toilette in der Wohnung.

Charakteristisch für fast alle Bauten war ihre sehr schlichte und sachliche Gestaltung. Auf üppigen Bauschmuck wurde verzichtetet. Die meisten Gebäude hatten ein Flachdach. Außerdem waren die Siedlungen durch Kleingärten und Grünanlagen aufgelockert. So wurde das Niddatal bewusst als naturbelassener Erholungsraum erhalten und gestaltet.

Die legendäre „Frankfurter Küche“

Das Tempo bei der Fertigstellung war nur möglich durch die Einrichtung von Großbaustellen und gleichzeitig die konsequente Industrialisierung und Standardisierung der Bauarbeiten. Normteile wurden in stadteigenen Produktionswerkstätten hergestellt. Die Montage wurde als „Frankfurter Montageverfahren“ patentiert. Die Typisierung von Bauteilen schloss selbst Türklinken und eine Serie von „Aufbaumöbeln“ ein. Wegbereiter für moderne Einbauküchen wurde die „Frankfurter Küche“, die so praktisch wie ein industrieller Arbeitsplatz gestaltet sein sollte. Sie wurde in rund 10.000 Häusern eingebaut. Die Küche ist mittlerweile nicht bloss im Frankfurter Museum Angewandte Kunst, wo zusätzlich mehrere Sonderausstellungen das Jubiläum feiern, sondern selbst in Museen in New York und London ausgestellt.

Für die Siedlungen wurden freie Flächen ehemaliger Dörfer, wie der heutigen Stadtteile Praunheim, Heddernheim oder Hausen genutzt, wobei große Grundstücke auch durch Enteignungen in städtisches Eigentum gelangten. Finanziell möglich wurde das Wohnungsbauprojekt durch die damals deutschlandweite Hauszinssteuer. Ziel dieser Steuer war es, die soziale Ungleichheit zwischen Hausbesitzenden und Menschen, die durch die Inflation ihr Vermögen verloren hatten, auszugleichen. Die Gelder flossen in den kommunalen Wohnungsbau.

IG-Farben-Gebäude, Kirchen und ein Bootshaus

Das „Neue Frankfurt“ spiegelt sich auch in repräsentativen Zweckbauten wider. Die Großmarkthalle konzentrierte den Handel mit Obst und Gemüse in einer 220 Meter langen, 23 Meter hohen und 50 Meter breiten Halle, wobei der Eisenbeton nur 7,5 Zentimeter stark war. Aufgrund ihres Charakters wurde sie im Volksmund zur„Gemüsekirche“, zumal der Architekt, Martin Elsaesser, zuvor zahlreiche Kirchen geplant und erbaut hatte. Sie war bis 2004 in Betrieb und wird jetzt von der Europäischen Zentralbank genutzt.

Zu den zahlreichen, tatsächlich religiösen Gebäuden zählt die Frauenfriedenskirche in Bockenheim, die auf die Initiative von Frauen als zentrale Gedächtniskirche für die Gefallenen der Weltkriege und als Bitte um Frieden geschaffen wurde. Die pfeilerlose Basilika mit Ehrenhof und Gemeindehaus gilt als einer der bedeutendsten Sakralbauten des 20. Jahrhunderts.

Prägend bis heute ist der IG-Farben-Komplex, der in einer großen Parkanlage im nördlichen Westend errichtet wurde. Mit sechs Querflügeln, 254 Meter Länge und sieben Geschossen sollte das Gebäude für das damals viertgrößte Unternehmen der Welt „eisernes und steinernes Sinnbild deutscher kaufmännischer und wissenschaftlicher Arbeitkraft“ sein. Ab 1945 diente es den US-Streitkräften als Hauptquartier. Seit 2001 beherbergt es die Johann Wolfgang Goethe-Universität. Auf dem Campus Westend steht heute auch das House of Finance.

In der Nähe bildet das Gesellschaftshaus Palmengarten Frankfurt ein prächtiges Entree für den botanischen Garten. Das Bauprogramm widmete sich allen Lebensphasen: Schulen, Alten- und Ledigenheime, Elektrizitäts- und Umspannwerke ebenso wie Friedhöfen. In der Nähe des Städels am Mainufer erinnert zudem, fast unscheinbar, das Bootshaus der Universität an das „Neue Frankfurt“.

Ein engagiertes Team von „Machern“

Initiiert und geleitet wurde das „Neue Frankfurt“ von Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1868–1945) und seinem Stadtbaurat Ernst May (1886–1970). Daneben spielten Kämmerer Bruno Asch (1890–1940) und Martin Elsaesser (1884–1957), Baudirektor am Hochbauamt, zentrale Rollen. Etwa 160 weitere Personen prägten das Bau- und Modernisierungsprojekt. Dazu gehörten Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) als Gestalterin der „Frankfurter Küche“ und Max Bromme (1878–1974) als Gartenbaudirektor.

Ernst May und Martin Elsaesser waren die beiden wichtigsten Architekten des „Neuen Frankfurt“, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Rollen. May war als Siedlungsdezernent für die Planung und Umsetzung großer Wohnsiedlungen zuständig, während Elsaesser als Leiter des Hochbauamtes für die städtische Architektur und den Hochbau verantwortlich war. May verfolgte einen eher puristischen, funktionalen Ansatz, während Elsaesser einen ausdrucksstarken Stil mit Bezug zur Tradition pflegte. Trotz dieser grundlegend unterschiedlichen Auffassungen von Architektur ergänzten sie sich in ihrer gemeinschaftlichen Arbeit. Im Ernst-May-Haus in der Römerstadt dokumentiert die ernst-may-gesellschaft das Werk des Architekten. Das zweistöckige Reihenhaus ist denkmalgerecht und weitgehend originalgetreu eingerichtet.

Bemerkenswert ist die große Zahl an Personen im Team, die aus jüdischen Familien stammten. Neben Landmann, Asch und May zählten dazu der Kulturdezernent Max Michel (1888-1941), die Fotografinnen Ilse Bing (1899-1998) und Jean Mandello (1907-2001) sowie die Künstlerin Erna Pinner (1890-1987). An sie erinnert das Jüdische Museum in einer speziellen Pop-Up Präsentation.

Aus jüdischen Familien: prominente Repräsentanten des „Neuen Frankfurt“

Das Ende nach nur fünf Jahren

Aufgrund der Weltwirtschaftskrise, einer rigiden Sparpolitik sowie geänderter Mehrheitsverhältnisse im Frankfurter Stadtparlament kam für das „Neue Frankfurt“ das „Aus“ nach nur fünf Jahren. 1930 verließ Ernst May Frankfurt, um Großstädte in der Sowjetunion zu planen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Ludwig Landmann 1933 aus dem Amt gedrängt. Allerdings verzichteten die Nationalsozialisten darauf, die Bauten selbst umzugestalten.

Eine traurige Rolle spielte ab 1941 die Großmarkthalle: Die Gestapo und die NSDAP-Gauleitung nutzten das Gebäude für Massendeportationen von Juden. Das Gebäude war innenstadtnah und verfügte über einen Gleisanschluss, von denen Züge der Deutschen Reichsbahn die Juden in die Ghettos und Konzentrationslager bringen konnten. Beim Bau der Europäischen Zentralbank wurde eine Erinnerungsstätte eingerichtet.

Für Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef hat kaum eine Zeit „Frankfurt so nachhaltig geprägt wie die Zeit von Ludwig Landmann im frühen 20. Jahrhundert. Und kaum eine geriet so schnell wieder in Vergessenheit.“ Noch heute sind die meisten Wohnhäuser und Siedlungen sowie zahlreiche öffentliche Gebäude des „Neuen Frankfurt“ in Funktion und sichtbar, werden gebraucht, bewohnt und genutzt. Ziel ist des Jubiläumsjahres ist deshalb, einerseits ein breiteres Bewusstsein über die historischen Planungen zu etablieren und andererseits Fragen des Großstadtlebens und des Wohnens mit dem Blick der Gegenwart in die Zukunft zu tragen.

Informationen

Einen kompletten Überblick über das Veranstaltungsjahr „100 Jahre Neues Frankfurt“ bietet die Website https://neuesfrankfurt100.de/de.

Rund 60 Siedlungen und Bauten im Stadtgebiet mit der jeweiligen Adresse, wo das „Neue Frankfurt“ sichtbar ist, enthält ein Orientierungsplan https://www.forum-neues-frankfurt.de/wp-content/uploads/2019/05/Zum-Neuen-Frankfurt-auf-Schienen.pdf

Zur Besichtigung offen ist das Ernst-May-Haus, Im Burgfeld 136, Frankfurt https://ernst-may-gesellschaft.de/mayhaus.html

Im Museum Angewandte Kunst, Schaumainkai 17, Frankfurt, werden mehrere Ausstellungen unter anderem zu den Themen „Was war das neue Frankfurt?“, und „Yes, we care. Das Neue Frankfurt und die Frage nach dem Gemeinwohl“ gezeigt. https://www.museumangewandtekunst.de

Das Jüdische Museum, Bertha-Pappenheim-Platz 1, Frankfurt beteiligt sich mit einer Pop-Up-Präsentation zum Jubiläum. https://www.juedischesmuseum.de

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Text und Fotos: Dr. Wolfgang Gerhardt.

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