Frankfurt im Zentrum des globalen Metallhandels
Die Großeleltern mütterlicherseits wiederum waren im Metallhandel tätig, in den Wilhelm Merton 1876 einstieg. 1881 gründete er die Metallgesellschaft AG, die sich innerhalb weniger Jahre zu einem der weltweit erfolgreichsten Unternehmen ihrer Branche entwickelte und Frankfurt eine führende Position im globalen Metallhandelt verschaffte. In der Konzernzentrale an der Bockenheimer Anlage/Ecke Reuterweg hat heute die Bank Julius Bär Deutschland ihren Sitz.
Das Kerngeschäft Mertons – der Bergbau und der Handel von Nichteisen-Metallen, allen voran Kupfer, Blei und Zink – boomte in den Jahren der zweiten Industrialisierung. Die Nichteisen-Metalle waren wichtig für die elektrotechnische Revolution und die rasante Ausbreitung von Telefonie und Überland-Stromleitungen.
Die Metallgesellschaft gründete Filialen und Tochterunternehmen auf fünf Kontinenten, darunter die American Metal Company in New York, die Australian Metal Company in Melbourne und die Compañía de Minerales y Metales in Mexiko. In Frankfurt wurde vor dem Ersten Weltkrieg täglich der Weltkupferpreis festgelegt.
Die Metallgesellschaft arbeitete mit dem Metallhandel in London zusammen, den der Bruder Henry R. Merton 1860 gegründet hatte. So verfügte die Metallgesellschaft stets über enge Verbindungen nach London und zur dortigen Metallbörse.
Merton und Corporate Social Responsibility
Trotz oder gerade wegen seines Reichtums war Wilhelm Merton überzeugt, dass ökonomisches Wachstum und die Förderung des Gemeinwohls zusammengehören. Er professionalisierte das öffentliche wie das private Fürsorge- und Stiftungswesen und gründete moderne Einrichtungen, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu fördern wie auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Er war dabei, wie der Historiker Christoph Sachße feststellte, „kein philanthropischer Einzelgänger“, sondern eingebettet „in ein Netzwerk organisatorischer und personeller Bezüge“.
Aufgrund dieses außergewöhnlichen Engagements – heute spricht man von Corporate Social Responsibility – nannte ihn der Historiker Werner Mosse einen „Wohlfahrtskapitalisten“. Wilhelm Merton selbst stellte fest „Ich habe eine Unternehmer- und Kapitalistenseele und bin doch zugleich sozial veranlagt. Das hat mich oft in Konflikt mit mir selbst und meinen Unternehmungen gebracht“.
Die Gründung der „Centrale für private Fürsorge“
So engagierte sich Wilhelm Merton für die Gründung der „Centrale für private Fürsorge“, die im kommenden Jahr ihr 125jähriges Bestehen feiern wird. Die Centrale, die heute als eine Stiftung agiert und unter dem Namen „Bürgerinstitut e.V.“ eigene soziale Projekte betreibt, ist so eine der ältesten privaten sozialen Einrichtungen in Frankfurt am Main.
Seit 1899 hilft das Bürgerinstitut in Zusammenwirken von hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und qualifizierten Ehrenamtlichen dort, wo Menschen sich nicht selbst helfen können und wo der Staat nicht ausreichend tätig ist. Dabei wurden immer die jeweils aktuellen sozialen Herausforderungen aufgegriffen.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt gegenwärtig auf Angeboten für ältere Menschen und deren Angehörigen. Der Fächer reicht von der allgemeinen Seniorenberatung und -begleitung über die Beratung zur Vorsorge und Patientenverfügung, spezifischen Angeboten für Menschen mit Demenz, hospizlicher und palliativer Beratung und Begleitung bis hin zur Nachlassabwicklung und Testamentsvollstreckung.
Eine rein aus privaten Mitteln finanzierte Universität
Der Initiativgeist von Wilhelm Merton führte 1914 in Frankfurt zudem zur rein aus privaten Mitteln finanzierten Universität, der ersten Stiftungsuniversität Deutschlands. Zur Gründung steuerte Wilhelm Merton steuerte 2,3 Millionen Mark aus seinem eigenen Vermögen bei. Viele Jahre galt Frankfurt neben Berlin als die finanziell am besten ausgestattete Hochschule Deutschlands. Lehre und Unterricht waren modern organisiert, die Gründer legten Wert darauf, daß neben traditionellen Fächern auch neue und praxisrelevante Disziplinen unterrichtet wurden. Neben der Medizinischen und Rechtswissenschaftlichen Fakultät richteten die Frankfurter die erste Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Deutschlands ein. Heute zählt die Universität über 43.000 Studierende. 20 Nobelpreisträger studierten oder forschten an der Goethe-Universität.Weitgehend in Vergessenheit geraten
So wie kurz nach Hitlers Machtergreifung die Nationalsozialisten alle jüdischen und politisch unliebsamen Wissenschaftsler und Studenten aus der Frankfurter Universität vertrieben, wurde auch das Stadtgedächtnis an Wilhelm Merton in den Jahren 1933 bis 1945 weitgehend ausgelöscht. Heute erinnern insbesondere die das Merton-Viertel, die Mertonstraße, eine Berufsschule, ein europäischer Übersetzerpreis sowie ein Universitätsinstitut an den Frankfurter jüdischer Herkunft.Informationen zum Besuch
Die Ausstellung im Jüdischen Museum, Frankfurt am Main, Bertha-Pappenheim-Platz 1, ist bis zum 7. Januar 2024, dienstags bis sonntags von 10 Uhr bis 17 Uhr (donnerstags bis 20 Uhr) geöffnet.
Die Ausstellungstexte sind in deutscher und englischer Sprache verfügbar. Mehr zum Begleitprogramm mit Vorträgen, Führungen sowie einem Gedenkband unter finden sie hier.
Text und Fotos: Dr. Wolfgang Gerhardt
Foto Bürgerinstitut: Bürgerinstitut e.V.