Als CCO von Fincite, wie sehen Sie die Rolle der digitalen Transformation im Wealth Management, insbesondere mit dem Aufkommen von hybriden Beratungsmodellen?
Die Zahlen sind eindeutig: In den kommenden zwei Jahrzehnten findet die größte Vermögensübertragung aller Zeiten statt; von einer Generation an die nächste, die digital aufgewachsen ist.
Mit jeder nachfolgenden Generation steigen die digitalen Erwartungen ans Wealth Management und mit der übernächsten Generation erreichen sie ein völlig neues Level. Was viele Entscheidungsträger unterschätzen: Der Wandel hat längst begonnen. Der Handlungsdruck ist real. Je nach Studie planen 70 bis 90 Prozent der Erbenden, die Bank zu wechseln – unter anderem, weil das digitale Angebot nicht überzeugt.
Digitale Prozesse sind keine Kür mehr; sie sind Pflicht.
Ich habe fast zehn Jahre für Banken gearbeitet. Ich kenne die Herausforderungen traditioneller Strukturen, aber auch den tiefen Wunsch nach Veränderung. Im Retailbankinghaben viele Institute den digitalen Wandel bereits angestoßen; nicht selten inspiriert durch neue, mutige Vorbilder. Solche Nordsterne gibt es auch im Wealth Management, bislang allerdings mit deutlich weniger Strahlkraft.
Doch der Druck nimmt zu: Digitale Vorreiter wie Robinhood aus den USA oder Bitpanda im Kryptobereich drängen zunehmend in den Bereich des gehobenen Vermögensmanagements und verschieben die Kundenerwartungen. Das, was im Retailgeschäft bereits zum Standard geworden ist, wird auch im Wealth Management zur neuen Benchmark. Spätestens in den nächsten ein bis drei Jahren wird sich dieser Trend manifestieren.
Die nächste Generation fordert nicht nur neue Produkte, sie erwartet ein völlig neues Erlebnis.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen und Chancen bei der Integration von Künstlicher Intelligenz und Open Finance in traditionelle Vermögensverwaltungsprozesse, und wie geht Fincite mit diesen Herausforderungen um?
Künstliche Intelligenz ist längst keine Zukunftsmusik mehr sie ist Realität. Anders als bei Technologien wie der Blockchain, über deren Einsatzmöglichkeiten lange diskutiert und spekuliert wurde, hat KI ihren Platz im Bankenumfeld bereits gefunden und das mit enormer Geschwindigkeit. Während wir rückblickend von der Blockchain eine tiefere Durchdringung der IT-Landschaft erwartet hätten, hat sich Künstliche Intelligenz still und effektiv etabliert. Nahezu jede Bank nutzt heute KI, sei es nur in Form von generativen Modellen wie ChatGPT.
Unsere Gespräche mit Banken zeigen: Die größte Herausforderung liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in der Haltung vieler Institute und in der Unsicherheit rund um regulatorische Vorgaben. KI wird mit vielen Ängsten verknüpft von Datenschutzfragen bis hin zur Sorge vor Arbeitsplatzverlust. Wir verstehen, dass die Vielzahl an offenen Fragen für Organisationen überwältigend wirken kann.
Unsere Empfehlung ist deshalb klar: Klein anfangen: mit Use Cases, die einen echten Mehrwert bieten und Vertrauen schaffen bei den Nutzern (Berater*innen).
Innerhalb unserer Applikation setzen wir KI zunächst dort ein, wo sie Berater*innen spürbar entlastet: als digitale Assistenz im Kundengespräch. Erste Anwendungen ermöglichen es der KI, Gespräche automatisch zu dokumentieren, Inhalte kontextbezogen aufzubereiten und sie –basierend auf der Kundenerfahrung – hyperpersonalisiert bereitzustellen.
Ziel ist es, Skepsis abzubauen und den konkreten Nutzen im Alltag erlebbar zu machen. Entscheidend ist aus unserer Sicht: Die ersten Anwendungsfälle sollten entlasten, nicht ersetzen. Die KI soll genau die Aufgaben übernehmen, für die Berater*innen sonst keine Zeit, oder schlicht keine Lust haben oder die keine Erträge bringen. So entsteht Akzeptanz und Raum für weiterführende Anwendungsfälle.
Im nächsten Schritt richten wir den Blick auf Agentic AI-Anwendungen, also KI-Systeme mit proaktivem Handlungsspielraum. Gemeinsam mit Microsoft fokussieren wir uns derzeit auf Anwendungsfelder wie Investment Insights, digitales Profiling und KYC-Prozesse.
Das zunehmende Interesse an alternativen Anlageklassen wie digitalen Produkten und Tokenisierung ist bemerkenswert. Wie plant Fincite, diese Trends zu nutzen, um seinen Kunden diversifizierte Anlagestrategien anzubieten?
Die Aggregation sämtlicher Anlageklassen ist fest in unserer DNA verankert. Unsere Auswertungen belegen: Vermögende Endkund*innen haben ein starkes Interesse daran, ihr gesamtes Vermögen in unsere Applikation zu integrieren inklusive einer automatisierten Bewertung, etwa bei Immobilien. Diese Funktionalität ist am Markt jedoch noch keineswegs Standard. Im Gegenteil: Viele Banken verfügen weder über die technischen Möglichkeiten noch über die passenden Strukturen oder Anreizsysteme für Berater*innen, um ihren Fokus konsequent auf alternative Assets zu richten.
Traditionell liegt der Schwerpunkt auf liquiden Vermögenswerten. Sprich: Depotwerten wie Aktien und Anleihen. Genau diese decken wir vollständig ab; sowohl für die Hausbank als auch für Drittbanken. Unsere Software ermöglicht es, sämtliche Portfolios, ob bei der eigenen oder bei externen Banken geführt, zu konsolidieren.
Durch die Aggregation aller Vermögenswerte bieten sich Banken vielfältige Möglichkeiten einer ganzheitlichen Beratung (beispielsweise im Rahmen einer strategischen Asset Allokation). Das richtige Zusammenspiel über alle Assetklassen ist eine ideale Chance für traditionelle Vermögensverwalter sich von den rein digitalen Angeboten der wachsenden Angreifer (wie zuvor erwähnt Robinhood) zu behaupten.