Corporate Governance – ein wichtiger Wettbewerbsfaktor
Bausteine für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind der Rechtsrahmen und die Corporate Governance der börsennotierten Unternehmen. Eine gute Unternehmensführung schützt nicht nur die Rechte der Anleger und anderer wichtiger Stakeholder, sie erleichtert und flexibilisiert zugleich die Führung und Finanzierung der Unternehmen. Das ist angesichts des hohen Kapitalbedarfs für die ökologische und digitale Transformation besonders wichtig. Die Möglichkeit der kostengünstigen Finanzierung der notwendigen
Investitionen ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor, der in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen wird. Dabei dürfen nicht nur die Kapitalkosten selbst betrachtet werden. Auch das institutionelle Umfeld, in dem Eigen- oder Fremdkapital aufgenommen werden kann, ist von höchster Relevanz.
Dieses Umfeld wird in Deutschland durch das Aktiengesetz bestimmt, an dessen grundlegende Reform vor genau 60 Jahren wir in diesem Jahr zurückdenken. Es wurde seit 1965 stetig an neue Entwicklungen angepasst. Seit 2002 wird es ergänzt durch den Deutschen Corporate Governance Kodex, der das deutsche
Aktienrecht internationalen Investoren erschließt und wichtige, aber zu Recht flexibel anwendbare zusätzliche Regeln enthält. 60 Jahre reformiertes Aktiengesetz sind trotz aller zwischenzeitlichen Fortentwicklung ein guter Anlass, über Reformbedarf und Reformmöglichkeiten nachzudenken, denn zahlreiche deutsche Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur für einen Börsengang im Ausland, sondern auch für eine ausländische Rechtsform entschieden. Einige wenige Änderungen im deutschen Aktiengesetz könnten bereits dazu beitragen, den Rechtsstandort Deutschland und damit auch die Börsennotiz hier wieder wettbewerbsfähiger zu machen.
Standortfaktor Unternehmensrecht
Einige Beispiele: Mehr Flexibilität bei der Kapitalerhöhung verbessert die Attraktivität der Rechtsform Aktiengesellschaft. Das genehmigte Kapital ist derzeit auf 50 Prozent des Grundkapitals beschränkt. In anderen Ländern, zum Beispiel den Niederlanden landen, besteht diese Restriktion nicht. Daher kann die kurzfristige Kapitalerhöhung einer niederländischen N.V. in Einzelfällen ein Mehrfaches des Grundkapitals betragen. Der Gesetzgeber sollte sich hieran ein Beispiel nehmen und die Grenze zur Aufnahme eines genehmigten Kapitals deutlich anheben. In disruptiven Zeiten brauchen wir viel Innovationskraft, was kurzfristig verfügbare Eigenkapitalaufnahmen einschließt. Das kommt nicht nur jungen Wachstumsunternehmen zugute, die für die jeweils nächste Phase ein deutliches Mehr an Eigenkapital benötigen. Auch die Unsicherheit, ob Dividendenzahlungen insolvenzfest sind, ist kontraproduktiv. Der Bundesgerichtshof hat 2023 entschieden, dass der aktienrechtliche Schutz des gutgläubigen Dividendenempfängers eine Unentgeltlichkeitsanfechtung nicht ausschließt. Auch der gutgläubige Aktionär muss bis zu vier Jahre vor Beantragung der Insolvenz erhaltene Dividenden zurückzahlen. Damit droht im Insolvenzfall nicht nur der Totalverlust der Aktienanlage, sondern auch der nachträgliche Verlust der Dividendenzahlungen. Vertrauen internationaler, aber auch privater Anleger in den deutschen Kapitalmarkt wird so nicht geschaffen, und der administrative Aufwand der Rückabwicklung von Dividendenzahlungen wird den möglichen Nutzen deutlich übersteigen.
Chancen der Aktie in der Altersvorsorge nutzen
Auch die Altersvorsorge steht in der neuen Legislaturperiode wieder auf der
Tagesordnung. Die Folgen des demografischen Wandels für das Umlageverfahren sind hinreichend bekannt und analysiert, jetzt gilt es, endlich zu handeln. Fertige Konzepte für alle drei Säulen liegen auf dem Tisch: das Generationenkapital in der gesetzlichen, das 2. Betriebsrentenstärkungsgesetz für die betriebliche und das Altersvorsorgedepot für die private Altersvorsorge. Trotz aller Diskontinuität im Gesetzgebungsprozess und aller Verbesserungsmöglichkeiten im Detail: es darf nicht noch einmal bis zum Ende einer Legislaturperiode dauern, bis entscheidende Fortschritte gemacht werden.
Den Nutzen einer stärkeren Ergänzung der Altersvorsorge durch aktienbasierte
Elemente kann man kaum überschätzen, wie internationale Vergleiche zeigen.
Neben der besseren Absicherung des Lebensstandards breiter Bevölkerungskreise im Ruhestand weisen auch alle Länder mit entsprechend dimensionierten Pensionsfonds eine bessere Eigenkapitalzufuhr für junge Unternehmen auf, was die wirtschaftliche Dynamik erhöht und moderne Arbeitsplätze schafft. Die vielfältigen Vorteile des Kapitalmarktes bieten uns zahlreiche Chancen, die wir unbedingt ergreifen sollten. Lassen Sie uns die
kommenden Jahre nutzen, den Kapitalmarkt zu modernisieren und ihn stärker in unsere Sozialpolitik einzubeziehen.
Mehr Informationen unter dai.de/kurvenlage/
Ein Artikel von: Melanie Kreis, Präsidentin des Deutschen Aktieninstituts und Finanzvorständin DHL Group