Nach den Europawahlen ist der Erwartungsdruck auch an den Finanzmärkten spürbar, in der europäischen Wirtschaftspolitik wirksame Maßnahmen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zu ergreifen. „Dass fast neun von zehn DVFA Investment Professionals hier akuten Handlungsbedarf sehen, ist wenig überraschend“, kommentiert Roger Peeters, stellvertretender Vorsitzender des Verbandes, die Ergebnisse der jüngsten Monatsfrage. „Interessanter ist die Reihenfolge beziehungsweise Gewichtung der konkreten Forderungen an Brüssel aus Sicht der Investment Professionals, und wie sehr diese den jüngsten Appellen der deutschen Wirtschaft an die Bundesregierung gleichen.“
Bürokratieabbau als oberste Priorität
Bei den geforderten wirtschaftspolitischen Maßnahmen steht der Bürokratieabbau eindeutig an der Spitze. Mit 40 % der möglichen Mehrfachnennungen liegt er deutlich vor den übrigen angebotenen Antworten – Steuersenkungen für Unternehmen (24 %), Abbau von Sozialleistungen (18 %), schuldenfinanzierten Investitionen zum Beispiel in grüne Technologien (10 %) sowie anderen Maßnahmen (8 %).
Sorge um Europas Wettbewerbsfähigkeit
Deutlich über zwei Drittel der Teilnehmer (70 %) erwarten gleichwohl, dass Europa im Vergleich zu China und den USA in den nächsten fünf Jahren an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen wird. Nur 7 % erwarten, dass Europa konkurrenzfähiger sein wird als heute, und 18 % sehen hier bis 2029 keine Veränderung.
Rahmenbedingungen sind unabdinglich für wirtschaftliche Stabilität und Wachstum
In einer weiteren Frage ging es um die Rahmenbedingungen, mit deren Hilfe die europäische Politik zumindest die wirtschaftliche Stabilität und das Wachstum des Kontinents langfristig sichern könnte. Bei möglichen Mehrfachnennungen entfielen hier erstaunlicherweise insgesamt 68 % der Antworten der DVFA Investment Professionals auf Verbesserungen der digitalen Infrastruktur (37 %) und die Rückkehr zu mehr Marktwirtschaft und Wettbewerb (31 %). Dagegen landete die Schaffung einer Kapitalmarktunion mit nur 18 % auf Platz drei der wichtigsten Rahmenbedingungen. Nur jede zehnte Antwort entfiel auf Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung (vgl. Abb.).
Quelle: DVFA e. V.
Sorge vor Überregulierung im Finanzsektor
Selbstverständlich spielte in der Monatsfrage auch die Regulierung der Finanzbranche eine Rolle. Die Frage war, wie sich die Finanzregulierung in den nächsten fünf Jahren verändern sollte, um wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Hier zeigte sich dasselbe Muster, das die ganz überwiegende Mehrheit der Teilnehmer auch für die Wirtschaft insgesamt vertritt: Regulierungen sollen Wachstum und Innovation nicht behindern, sondern fördern, insbesondere die digitale und technologische Entwicklung.
Über die Hälfte der möglichen Mehrfachnennungen (52 %) plädierte daher dafür, die Regulatorik in der Finanzbranche zu lockern. Nicht im Widerspruch dazu steht, dass fast jede dritte Antwort (31 %) forderte, auch neue Regelungen einzuführen, um beispielsweise Digital Assets voranzubringen. Mit dem bestehenden Regelungswerk waren dagegen nur 10 % der Teilnehmer zufrieden. 7 % sprachen sich für eine weitere Verschärfung der Regulierung aus, um so die Finanzmärkte zusätzlich abzusichern.
„Unsere Investment Professionals machen sich offenkundig große Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt. Sie beklagen mit ihren Kommentaren und deutlichen Antwortquoten zu viel kleinteilige Überregulierung und unproduktive Bürokratie“, fasst Roger Peeters die Antworten zusammen. „Vor allem zeigt die Frage nach den wachstumsfördernden Rahmenbedingungen, dass es für Europa inzwischen nicht mehr nur um Einzelfragen wie die Vollendung des Binnenmarkts durch eine echte Kapitalmarktunion geht, sondern auch und vor allem um eine echte Systemfrage. Die Politik nicht nur in Brüssel muss daher immer wieder daran erinnert werden, dass nach den EU-Verträgen eine ‚in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft‘ ein explizites Unionsziel ist.“
Quelle: DVFA e. V., 09. Juli 2024