Kurator Jochen Sander vor Govert Flinck, Aufzug der Armbrust-(Voetboog-)Schützen unter Hauptmann Joan Huydecopere und Leutnant Frans van Waveren, 1648/50
Nach der Ausstellung „Nennt mich Rembrandt“ vor drei Jahren sind im Städel erneut Meisterwerke der niederländischen Malerei zu Gast. Die Nähe zwischen Frankfurt und Amsterdam spielt dabei eine wichtige Rolle: beide Metropolen werden vom Bürgertum mit seiner Führungsrolle in Politik und Wirtschaft, vom Fokus auf Handel und Finanzen geprägt. Entsprechend den Intentionen von Johann Friedrich Städel verfügt der Städel zudem heute selbst über einen Bestand von fast 260 Werken Rembrandts.
Glück zudem für Frankfurt: Aufgrund von Umgestaltung und Renovierung ist das Amsterdam Museum als wichtigster Leihgeber zur Zeit geschlossen. So sind in Frankfurt Kunstwerke zu sehen, die unter normalen Umständen kaum die Niederlande verlassen hätten.
Ein Jahrhundert des Wachstums und Wohlstands
Eine „Allegorie auf die Stadterweiterung“ von Nicolaes Pieteresz Berchem und Gemälde zu den Neubauten bilden den Auftakt als wichtige Symbole für den Aufstieg Amsterdams.Von einem kleinen Hafen an der Amstel mit rund 50.000 Einwohnern zu Beginn des 17. Jahrhunderts wuchs die Stadt zu einer europäischen Megacity, die um 1660 rund 200.000 Menschen beherbergte. Der eigentliche Aufstieg begann bereits 1566/68 mit dem Aufstand der niederländischen Provinzen gegen die Habsburger und der Gründung der Republik und endete ziemlich genau 100 Jahre später, als ein Krieg gegen England und Frankreich Amsterdam effektiv vom Welthandel abschnitt.
Zwei Gemälde zeigen das Börsengebäude, denn mit der Aufnahme des Wertpapierhandels im Jahr 1612 wurde die Börse zum Motor für die Wirtschaftsblüte. Neue Möglichkeiten zur Risikostreuung entstanden, und so ermöglichte der Handel mit Anteilscheinen breiten Bevölkerungskreisen den Zugang zur Finanzierung der internationalen Handelsexpansion. „Blue Chips“ waren die Ostindische, ab 1623 zusätzlich die Westindische Handelskompanie.
Job Adriaensz Berckheyde, Der Innenhof der Börse von Amsterdam, ca. 1670
Riesige Gruppenporträts als Amsterdamer Spezialität
Diese Konjunktur führte zu den riesigen Gruppenbildnissen, die im Wesentlichen nur aus Amsterdam bekannt sind. Nick Jue, Vorstandsvorsitzender der ING Deutschland, einem der Sponsoren der Ausstellung, erklärte: „Wie keine andere Bildgattung repräsentiert das niederländische Gruppenporträt diese Zeit. Die bürgerliche Elite gab diese großformatigen Gemälde bei den bedeutendsten Amsterdamer Malern in Auftrag. Es sind Bilder, die von nationalem Stolz und Selbstbewußtsein erzählen – Eigenschaften, die bis heute Teil der Amsterdamer DNA sind.“
Zunächst waren es die Mitglieder der Amsterdamer Schützenverbände, also der Bürgermilizen, die sich regelmäßig abbilden ließen. Die Ausstellung zeigt unter anderem zwei jeweils mehr als fünf Meter breite Gemälde der Armbrustschützengilde, die im Abstand von knapp 20 Jahren entstanden sind. Das berühmteste Schützenbild der Welt, die „Nachtwache“ von Rembrandt, die das Rijksmuseum nie verlassen wird, ist zumindest im Format 15 zu 20 cm vertreten – als Aquarell von Jacob Colijns in einem Skizzenbuch. Die Ära dieser Bilder endete um 1650 nach Ansicht von Experten auch deshalb, weil in den Schützenhäusern einfach Platz für neue Gemälde fehlte.
Berufsständische Gruppenporträts wurden im 17. Jahrhundert dagegen eher zufällig in Auftrag gegeben. Bemerkenswert sind deshalb zwei „Vorlesungen“ des Arztes Dr. Sebastiaen Egbertsz, einmal mit knapp 30 Teilnehmern gruppiert um eine Leiche, ein anderes Mal mit „nur“ sechs Personen vor dem Skelett eines hingerichteten englischen Seeräubers.
Soziales Engagement der bürgerlichen Elite
Dagegen sind fast alle Sozial-, Fürsorge- und Disziplinareinrichtungen, wie Armen- und Waisenhäuser, Altersheime und Krankenhäuser, aber auch Zuchthäuser für Männer und Fauen vertreten, wobei sich die Ausstellung selbst auf wenige ausgewählte Institutionen konzentriert. Diese Gemälde spiegeln das soziale Engagement der bürgerlichen Elite wider. Als Regentinnen und Regenten kümmerten sich Mitglieder der Oberschicht entsprechend ihrem protestantischen Glaubensverständnis um die Führung dieser Institutionen – aber ebenso um die Pflege der Außenwirkung dieser Ehrenämter.
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen konnten sich dagegen eigene Porträtdarstellungen nicht leisten. Sie hatten auch keine Verwendung für solche Bilder. Ziel der Schau ist es auch, diese andere Seite der Stadt, also jene Menschen zu zeigen, die in schwierigen sozialen Verhältnissen lebten.
Nicolaes Eliasz Pickenoy, Die Regenten des Spinhuis, 1626/28
Goldene Zeiten mit Fragezeichen
Das ist auch der Grund, warum der Ausstellungstitel mit einem Fragezeichen endet. Traditionell gilt das 17. Jahrhundert als „Goldenes Zeitalter“. Dieses Verständnis ist in den Niederlanden jedoch brüchig geworden.
Jochen Sander, stellvertretender Leiter des Städels und Kurator der Ausstellung erläutert den Versuch, deshalb „auch jenen eine – zumindest indirekte – visuelle Repräsentanz zu verleihen, die in diesen Einrichtungen lebten und die dennoch in den Gruppenbildnissen gar nicht, oder wenn, dann nur schattenhaft und typisiert buchstäblich am (Bild-)Rand vorkommen“. Um einige von jenen Menschen, die in ihrer Zeit nicht als bildwürdig erachtet worden seien, dennoch sichtbar zu machen, habe man „über Bande gespielt“ und auf Werke zurückgegriffen, die im strikten Sinne keine Porträts seien, ergänzte Sander.
Insbesondere Gemälde aus dem Aalmozenierhuis sowie aus Diakoniewaisenhaus schließen sich zwar unmittelbar an die ältere, noch katholischen Bildtradition zu „Werken der Barmherzigkeit“ an, wie sie in einem Gemälde von Pieter Aertsen deutlich werden. Sie stellen Szenen aus dem Alltag dar, wie die Verteilung von Kleidung und Essen ebenso wie Hausbesuche bei notleidenden Kranken. Die Bedürftigten werden nur typisiert gezeigt. Über 200 Jahre später hat übrigens Max Liebermann ein weiteres Gemälde aus einem Waisenhaus geschaffen.
Jan Victors, Die Einkleidung der Waiserkinder im Diakoniewaisenhaus, 1659/60
Rembrandts Blick auf gesellschaftliche Außenseiter
Den Kontrast in der Ausstellung setzt deshalb die Druckgrafik Rembrandts – allein schon durch Formate von teilweise nur wenigen Zentimetern. Rembrandt bannte mit einem außerordentlichen Blick für die Wirklichkeit Amsterdams Bettler, Kranke, Straßenverkäufer und -musikanten auf Papier. Anrührend sind die Radierungen Rembrandts und seiner Mitarbeiter vom Leichnam der Elsje Christiaens, die 1664 wegen eines Totschlags im Affekt hingerichtet und öffentlich zur Schau gestellt wurde.
Wie die Vorsitzende des Vorstandes des Städelschen Museumsvereins e.V., Sylvia von Metzler, betont, zeigt sich darin „Rembrandt als genialer Erzähler, Rembrandt als überragender Porträtist und als unbestechlicher Beobachter der sozialen Wirklichkeit“. Der Blick auf Rembrandts Vita bestätige dies, denn nach glanzvollen Anfängen sei der Absturz in Bankrott und künstlerische Isolation gefolgt. Für den Städelschen Museumsverein bildet die Unterstützung der Ausstellung übrigens den Höhepunkt des 125-jährigen Vereinsjubiläums.
Informationen
Die Ausstellung im Städel Museum ist bis zum 23. März 2025, dienstags bis sonntags von 10 Uhr bis 18 Uhr (donnerstags bis 21 Uhr) geöffnet, mit Sonderöffnungszeiten an Weihnachten, Sylvester und Neujahr. Zum umfangreichen Vermittlungsprogramm zählen natürlich Führungen, ein Katalog sowie das kostenlose Digitorial, gefördert von Deutsche Börse Group. Mehr Informationen unter www.staedelmuseum.de.
Text und Fotos: Dr. Wolfgang Gerhardt. Die meisten Fotos zeigen Ausschnitte des jeweiligen Kunstwerks.