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„Unbeabsichtigtes Greenwashing“

Die grüne Nachhaltigkeitsexpertin Kristina Jeromin warnt vor der Datengläubigkeit bei ESG-Themen. Sinnvoll ist es aus ihrer Sicht, den CO2-Preis über eine Verknappung der Zertifikate zu erhöhen.

Artikel erschienen in der Börsen-Zeitung am 20.01.2022, Autor: Wolf Brandes

Frau Jeromin, in der Finanzbranche werden die Folgen der EU-Taxonomie für Investments viel diskutiert. Warum ist dieses Regelwerk so wichtig?

Die Taxonomie ist das Herzstück des EU-Aktionsplans für Sustainable Finance. Hier geht es darum, den wirtschaftlichen Strukturwandel und damit Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität gezielt zu finanzieren. Doch es fehlt an einer einheitlichen Definition für Nachhaltigkeit und damit an klaren Transformationspfaden. Aber wenn man die Ziele des EU-Aktionsplans verfolgen will, dann sollten dabei alle die gleiche Sprache sprechen.

Macht sich deshalb die Fondsbranche gegen Atomkraft stark?

Atomkraft ist von den Expertengruppen, die die Taxonomie entwickelt haben, als nicht nachhaltig ausgeschlossen worden. Das heißt aber nicht, dass nicht taxonomiekonforme Unternehmen keine Finanzierung mehr bekommen. Es ist auch in Zukunft nicht verboten, Atom- und Gaskraftwerke zu finanzieren oder in dem Bereich zu investieren. Denn es ist doch auch allen klar, dass die Energiewende mit notwendigen Brückentechnologien einhergeht.

Welche Folgen hat es dann, wenn Atomkraft und Erdgas als taxonomiekonform klassifiziert werden?

Wenn man Atom und Gas grün anstreicht, führt das zu einem Verlust der politischen Glaubwürdigkeit. Ein Klassifizierungssystem, bei dem am Ende alles nachhaltig ist, verfehlt die gewünschte Transparenz und damit die versprochene Lenkungswirkung. Mit dem Aufweichen der Taxonomie muss man den Mut der Politik anzweifeln, die wirtschaftliche Transformation anzupacken. Das wiederum ist ein fatales Signal an den Markt, dass man es mit dem Strukturwandel so ernst nicht meint und alle weitermachen können wie bisher.

Fast alle Fondsanbieter haben sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Warum will die Finanzbranche immer mehr Regulierung im grünen Bereich?

Alles andere wäre kurzfristig gedacht. Mag sein, dass man mit unambitionierten Standards anfangs mehr Geschäft machen kann. Aber für die Branche und für die Anleger wird damit die Unsicherheit nicht aus dem Weg geräumt. Es ist doch klar, über allen Investmentthemen schwebt das Damoklesschwert des Greenwashings. Hier helfen nur eindeutige Definitionen und Standards. Eine Orientierungshilfe ist immer besser, als wenn jeder selbst die Karten legt.

Bald wird das Thema Nachhaltigkeit in der Anlageberatung Pflicht. Was erwarten Sie hier?

Ich verspreche mir sehr viel davon, denn die Beratungspflicht wird die Nachhaltigkeitsthematik weiter im Kerngeschäft der Finanzbranche und in den Köpfen der Kundinnen und Kunden verankern. Allerdings sind auch hier die fehlenden Standards eine Herausforderung.

Mit der Offenlegungsverordnung wurden viele Fonds als hellgrün eingestuft, also nach Artikel 8. Entsteht für Sie nicht der Eindruck, dass Fonds umetikettiert wurden?

Ganz so einfach kann man einem Fonds auch nicht das Artikel-8-Label geben. Dafür müssen relevante Informationen aus dem Bereich ESG offengelegt werden. Allerdings muss eben auch hier weiterhin an der Verfügbarkeit und Qualität der Nachhaltigkeitsinformationen gearbeitet werden. Parallel dazu plädiere ich dafür, in diesem Prozess eine gewisse Frustrations- und Fehlertoleranz mitzubringen. Sowohl die Unternehmen aus der Realwirtschaft als auch die Finanzbranche sind in einem Lernprozess. Es wird sicher das ein oder andere unbeabsichtigte Greenwashing geben, weil Informationen noch nicht standardisiert sind. Auch hier hätte eine klare Taxonomie geholfen.

Eine Taxonomie, die sich an die Finanzbranche richtet. Die Frage ist, ob man den Anleger im Rahmen eines Beratungsgesprächs zu seinem Glück zwingen sollte?

Bisher denken die wenigsten Menschen darüber nach, was mit ihrer Geldanlage passiert. Fundierte Beratungsgespräche werden die Aufmerksamkeit der Anleger für nachhaltige Aspekte im positiven Sinne steigern. Wir legen doch nicht grün an, weil wir alle so moralische Menschen sind. Für nachhaltige Investments sprechen vielmehr Studien, die zeigen, dass mit der Integration von ESG-Risiken ein risikoärmeres Investment möglich ist.

Es bleibt der Eindruck, dass ESG für die Fondsbranche ein Marketinginstrument ist, weil sie mit grünen Fonds im Zweifel mehr Geschäft machen kann, oder?

Ich finde es super, wenn die Branche Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell erkennt. Denn genau das ist es. Es geht nicht nur um das Management von Risiken, es geht darum, ganz gezielt mit solchen Finanzprodukten Geschäft zu generieren. Aber: Wenn grün draufsteht, sollte auch grün drin sein.

Wozu braucht man auch noch eine Nachhaltigkeitsampel auch für Anlageprodukte?

Die Ampel ist eine Empfehlung des Sustainable-Finance-Beirats. Es geht darum, ein System zur Klassifizierung der Nachhaltigkeit aller Finanzmarktprodukte in Anlehnung an die Logik der EU-Offenlegungsverordnung zu etablieren. Wenn man beispielsweise einen Kühlschrank nimmt, dann hilft ein solches Klassifizierungssystem den Verbrauchern. Auch wenn das eine nationale Initiative ist, kann man eine solche Ampel auf Dauer auf Europa übertragen.

Wie hilfreich sind ESG-Ratings?

Wenn man zehn verschiedene ESG-Bewertungen eines Unternehmens von unterschiedlichen Ratingagenturen hat, dann ist guter Rat teuer. Deswegen ist auch eine Standardisierung der Nachhaltigkeitsratings wichtig. Wir müssen wegkommen von isolierten ESG-Bewertungen hin zu einem vollintegrierten Bewertungssystem. Das heißt, bei klassischen Kreditratings muss das ESG-Rating integriert werden. Es kann nicht sein, dass wir hier ein ESG-Paralleluniversum haben. Die Trennung in einen grünen Finanzmarkt und einen normalen Finanzmarkt ist nicht hilfreich. Man braucht die Breite des Marktes, um die Finanzierung der Transformation in der Realwirtschaft zu stemmen.

Beim Thema Finanzierung stellt sich die Frage, wie sinnvoll ein Green-Supporting-Faktor in der Regulierung ist.

Wenn wir uns schon mal nicht einig sind, was grün ist, sollte man da vorsichtig sein. Außerdem ist zu bedenken, dass grüne Investments nicht per se risikoärmer sind.

Inwieweit kann man über CO 2 -Preise eingreifen?

Der CO 2 -Preis ist für mich nicht der alleinige Heilsbringer. Sicherlich sind klare Preissignale eine wichtige Messlatte für die Unternehmen. Man sollte den CO 2 -Preis aber nicht statisch verwenden. Ziel muss es sein, über den Preis die Transformation bei den Unternehmen anzureizen. Der CO 2 -Preis muss eingebettet sein in einen Instrumentenkoffer. Und natürlich müssen die Zertifikate über die Jahre reduziert werden – sonst ist das eine Wohlfühlveranstaltung.

Fokussiert man sich zu stark auf das Thema Klima, weil in dem Bereich vieles gut messbar ist?

Mag sein. Aber wir müssen Abschied nehmen von der Idee, dass wir alles quantifizieren können. Neben der Klimathematik sind auch andere ökologische Dimensionen wie beispielsweise Biodiversität von Relevanz. Im Sinne des Dreiklangs von ESG sind ebenso soziale Aspekte und Fragen der Unternehmensführung von großer Bedeutung. Allerdings fehlen uns heute noch valide Daten, diese Auswirkungen konkret zu messen. Hier kann Regulierung helfen, indem Standards verbindlich gesetzt werden, und der Markt ist gefragt, diese Standards aktiv mitzuentwickeln. Damit einher gehen dann Geschäftschancen und die Vermeidung von Stranded Assets. Das allein ist schon ein wichtiges Ziel, wenn es darum geht, als Treuhänder das Geld anderer Leute zu verwalten.

Zur Person

Kristina Jeromin ist seit 2018 Co-Geschäftsführerin des Green and Sustainable Finance Cluster Germany (GSFC). Der Verein entstand als Zusammenschluss der Nachhaltigkeitsinitiativen von der Deutschen Börse und dem hessischen Finanzministerium und bündelt die Aktivitäten im Bereich Sustain-able Finance. 2021 war Jeromin zudem Bundestagskandidatin auf der Landesliste der Grünen in Hessen, verpasste allerdings den Einzug in das Parlament. Bis Ende 2020 leitete sie das Nachhaltigkeitsmanagement der Deutschen Börse. Sie begann ihre Karriere bei dem Unternehmen 2007 in der Kommunikationsabteilung und war von 2009 bis 2016 Mitarbeiterin im Bereich Corporate Responsibility. Die 1982 in Wiesbaden geborene Jeromin studierte an der Universität Mainz Politikwissenschaften und Philosophie.

Quelle: Börsen-Zeitung, 20.01.2022 (Zweitveröffentlichungsrecht)
Foto: Thomas Richter via Unsplash

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