Written by 18:04 Nachhaltigkeit, Mitglieder

Wie Kapitalmärkte zum Vorreiter von Nachhaltigkeit werden

Der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit verlangt nach einem Schulterschluss zwischen Kapitalmarkt und Realwirtschaft. Darin sind sich Stephan Leithner, Vorstand der Deutschen Börse, und 30 hochkarätige Expertinnen und Experten einig. Ihre Sichtweisen sind in einem lesenswerten Buch enthalten, das Welten zusammenführt: Es vereint unterschiedliche Positionen und sorgt so für Diskussionsstoff.

Spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen 2015 ist Nachhaltigkeit – im Sinne von Umweltthemen, Sozialem und Unternehmensführung (ESG) – zum bestimmenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Thema unserer Zeit geworden. Soll die Transformation jedoch wirklich gelingen, stellt sich die Frage nach der Finanzierbarkeit.

Die Internationale Energieagentur IEA schätzt den jährlichen Investitionsbedarf allein im Energiesektor auf fünf Billionen US-Dollar – Schätzungen für die Komponenten „S“ und „G“ fehlen noch. Diese gewaltigen Summen wird die öffentliche Hand im Hinblick auf Volumen und Planungskapazitäten nicht stemmen können. Ebenso werden die Banken diese Aufgabe nicht bewältigen, weil sie kein Eigenkapital zur Verfügung stellen können und bei ihrer Kreditvergabe an regulatorische Grenzen gebunden sind.

Der Kapitalmarkt als Ergänzung und Alternative zu Staat und Banken

So sieht Stephan Leithner, im Vorstand der Deutschen Börse zuständig für das Nachhandels-, Daten-, Index- und Analytikgeschäft, im ersten Teil des neuen Buches den Kapitalmarkt als einzige Ergänzung und Alternative zu Staat und Banken. Das Potenzial des Kapitalmarkts „gründet sich nicht nur auf seine Fähigkeit, Finanzmittel zu mobilisieren, sondern auch auf seine Kapazität zur schnellen Verarbeitung von Informationen, seine weltweite Vernetzung und seine Kompetenz darin, rasch auf Veränderungen im konjunkturellen und geschäftlichen Umfeld zu reagieren“.

Ein zweistufiger Prozess ist notwendig: Es bedarf zunächst mehr Klarheit bezüglich der ESG-Ziele, verbunden mit besseren und zuverlässigen Informationen für alle Akteure. Darüber hinaus muss an die Stelle selektiver, nachhaltiger Finanzprodukte ein nachhaltiges Ökosystem aus Emittenten, Anlegern und Marktinfrastruktur mit ESG-Orientierung treten.

Das wiederum sollte in einer strategischen Agenda für Europa mit globalem Anspruch münden: Stephan Leithner plädiert dafür, dass die Kapitalmarktunion oberste Priorität hat, dass sich Europa nicht mit Sonderlösungen abgrenzt, sondern sich früh in den Wettstreit um globale Standards einbringt, und dass Europa auf privatwirtschaftliche Lösungen setzt. Dabei sieht er die notwendigen schnellen Fortschritte nur, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wirksam zusammenarbeiten und entsprechende Stärkecluster bilden.

Eine Plattform für den aktiven Dialog

Entsprechend dem Ziel der Deutschen Börse, zum Thema Nachhaltigkeit eine Plattform für einen aktiven Dialog zu schaffen, präsentieren im zweiten Teil des Buches 30 Expertinnen und Experten aus Deutschland und dem benachbarten Ausland ihre individuelle Sicht, wie die Transformation hin zu einem nachhaltigen Kapitalmarkt gelingen kann. Das verschafft dem Buch einen besonderen Reiz, denn es baut Brücken zwischen Fach- und Branchengrenzen und wirkt so Stephan Leithners Feststellung entgegen „Noch immer sprechen viele Fachleute zu stark untereinander und übereinander – aber nicht miteinander“. 

Zu den Autoren zählen Führungspersönlichkeiten aus der Politik, den Parteien, Verbänden und Gewerkschaften, ebenso Repräsentanten der Notenbanken, der öffentlichen Förderbanken, der Industrie, der Geschäftsbanken und der Wissenschaft. Die Sicht der Investoren vermitteln Vertreter von Versicherungen, Asset Managern, Vermögensverwaltern  und Privatanlegern.

Bei den Autoren aus dem Bereich der Wertpapierbörsen und sonstigen Betreibern von Marktinfrastruktur liegt ein Schwerpunkt auf der Quantifizierung von ESG-Kriterien – ein Thema, das mit der Standortentscheidung zum Sitz des International Sustainability Board (ISSB) für Frankfurt einen besonderen Stellenwert haben wird.

Der Vizepräsident von Frankfurt Main Finance e.V. und hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir nutzt seinen Beitrag darüber hinaus für ein Plädoyer für den Finanzplatz Frankfurt und das Green and Sustainable Finance Cluster Germany: „Green and Sustainable Finance ist eine Zukunftschance für den Finanzplatz Frankfurt“.

 

Bibliographischer Hinweis

Stephan Leithner (Hrsg.), Nachhaltige Kapitalmärkte. Die Transformation erfolgreich gestalten. Verlag Herder 2021, 336 Seiten. ISBN 978-3-451-39162-0. Verfügbar als Print (Klappenbroschur) oder als eBook (EPUB).

 

Text: Dr. Wolfgang Gerhardt.

Facebook
Twitter
LinkedIn
(Visited 118 times, 1 visits today)
Close