In den letzten Jahren hat sich viel verändert – viele Zentralbanken haben als Reaktion auf die Beschleunigung digitaler Zahlungen, das Wachstum von Kryptowährungen und die Maßnahmen ihrer Kollegen ihre Pläne für digitale Währungen vorangetrieben. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist da keine Ausnahme, denn die Pläne für einen digitalen Euro haben seit der Ankündigung ihrer “Untersuchungsphase” im Oktober 2021 einen langen Weg zurückgelegt.
Diese erste Phase des Projekts für den digitalen Euro ist nun abgeschlossen, und eine zweijährige “Vorbereitungsphase” ist im Gange. Dazu gehören Aktivitäten wie die Fertigstellung des Regelwerks, die Erprobung von Konzepten, die Suche nach Dienstleistern und die Zusammenarbeit mit Stakeholdern – dazu gehören nicht nur die breite Öffentlichkeit, die den digitalen Euro nutzen wird, sondern ebenso wichtig die Banken. Schließlich werden die Banken die wichtigsten Verteiler des digitalen Euro für die Öffentlichkeit sein und daher eine Schlüsselrolle für eine reibungslose Einführung dieser neuen Technologie spielen.
In den letzten Monaten gab es eine Flut von Veröffentlichungen europäischer Behörden zum digitalen Euro – auch wenn sich einige aufgrund der bevorstehenden Wahlen im Juni 2024 etwas verzögern könnten. Dazu gehören die Legislativvorschläge der Kommission vom Juni 2023 für einen Rechtsrahmen für den digitalen Euro, ein Blog der EZB vom Februar 2024 zum Thema “Entlarvung der Ängste der Banken vor dem Verlust von Einlagen” und eine Präsentation des Direktoriums der EZB, Piero Cipollone, vom März 2024 mit dem Titel “Digitaler Euro: die Zukunft des Geldes”. All dies ergänzt die Strategie des Eurosystems für den Massenzahlungsverkehr, die erstmals 2019 entwickelt, 2020 erweitert und im November 2023 weiterentwickelt wurde.
All diese Entwicklungen bedeuten, dass die erwarteten hochrangigen Gestaltungsmerkmale eines künftigen digitalen Euro rasch in den Fokus rücken. Dazu werden voraussichtlich gehören:
- Kostenlose Nutzung für grundlegende Verbrauchertransaktionen
- Verfügbar für jede digitale Zahlung im Euroraum (z. B. online, im Geschäft, von Person zu Person)
- Das stärkste gesetzlich zulässige Datenschutzniveau
- Vermittlung über Banken und andere Zahlungsdienstleister
- Vergütung für Vermittler über Händlergebühren
- Finanzielle Inklusion von Menschen ohne Bankkonto durch Vermittlung öffentlicher Einrichtungen
- Haltelimits für einzelne Nutzer, ohne Zinsen oder sonstige Vergütungen
- Verfügbar für Offline-Transaktionen
Am wichtigsten ist vielleicht, dass der digitale Euro die strategische Autonomie und Währungssouveränität des Euroraums stärken soll. Für die Eurozone wird es als ein Stück kritischer Infrastruktur für Europa angesehen, das den Weg für eine Zahlungslösung in Europa ebnet, die derzeit auf ausländische Technologie und Unternehmen angewiesen ist.
Eine Entscheidung über die Ausgabe des digitalen Euro könnte theoretisch bereits 2025 getroffen werden, auch wenn die Entwicklung wahrscheinlich Jahre dauern würde. Aber im Zahlungsverkehr sind bereits ernsthafte Vorbereitungen und Strategieentwicklungen im Gange – Geschäftsbanken sind sich zunehmend der tiefgreifenden Auswirkungen des digitalen Euro auf ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle in Bereichen wie Liquidität, Datenschutz und Interoperabilität bewusst, um nur einige zu nennen. Und doch bleiben trotz der jüngsten Veröffentlichungen viele praktische Fragen zum digitalen Euro unbeantwortet. Zu den potenziellen Bedenken der Geschäftsbanken gegenüber dem Konzept gehören derzeit:
- Anzahlungen: Banken befürchten generell, dass die Einführung eines digitalen Euro die Kunden dazu veranlassen könnte, sich von herkömmlichen Einlagen bei Geschäftsbanken abzuwenden – welche Auswirkungen könnte dies auf die Kundenbeziehungen und Refinanzierungsstrategien der Banken haben?
- Kosten: Was kostet es Geschäftsbanken, digitale Euro-Schnittstellen für Kunden zu entwickeln? Würden sie bestehende Banksysteme oder andere private Wallet-Initiativen nutzen? Muss die Industrie möglicherweise zu den potenziell enormen Kosten für die Entwicklung der neuen “Zahlungsschienen” des digitalen Euro beitragen?
- Einkommen: Inwieweit werden die Banken in der Lage sein, die Kosten für die Bereitstellung von “kostenlosen” digitalen Euro-Diensten durch die Erhebung von Händlergebühren auszugleichen? Könnten Geschäftsbanken bestehende oder potenzielle Kunden und die damit verbundenen Einnahmequellen ganz verlieren? Vielleicht gibt es neue Mehrwertdienste – wie Mikrozahlungen, geteilte Zahlungen, Abrechnung, Quittungsverwaltung, grenzüberschreitende Zahlungen, subsidiäre, programmierbare oder bedingte Zahlungen?
- Wettbewerb: Welche Auswirkungen könnten Fintech-Innovationen haben, die die Zahlungsschienen des digitalen Euro nutzen? Könnten neue Marktteilnehmer diese Infrastruktur nutzen, um Banken zu verdrängen oder sie ganz zu ersetzen? Könnte der digitale Euro aus einem anderen Blickwinkel als Gewinn für die Banken angesehen werden? Dies könnte eine Gelegenheit sein, Zahlungen auszulagern, die Wartungskosten von Legacy-Systemen zu senken oder solche Legacy-Systeme sogar ganz loszuwerden. Vielleicht könnte es mehr Kooperationen mit privaten Initiativen von Geschäftsbanken geben, die Vermittler-Apps verwenden.
- Talent: Werden die Banken in der Lage sein, angesichts der neuartigen Technologien, die digitalen Währungen zugrunde liegen, Mitarbeiter mit den erforderlichen Fähigkeiten für den Aufbau und Betrieb digitaler Euro-Schnittstellen zu gewinnen und zu halten?
Für Banken gibt es auch Unsicherheiten in Bezug auf die potenziellen kommerziellen Vorteile eines digitalen Euro – wie z. B. die Nutzung eines starken digitalen Euro-Angebots für Cross-Selling, Up-Selling oder sogar die Gewinnung neuer Kunden aus unterversorgten sozialen Gruppen. Darüber hinaus ist unklar, wie Banken bei der Planung eines digitalen Euro Vorrang vor anderen wichtigen Initiativen wie DORA oder Instant Payments haben sollten.
Kurz gesagt, es gibt eine gewisse Unsicherheit für die Banken, wie sie ihre Entscheidungsfindung rund um den digitalen Euro genau gestalten sollen – ein Konzept, das einzigartig, langsam, schwer zu quantifizieren und dennoch potenziell enorme langfristige Auswirkungen hat. Im Moment scheint es Risiken zu geben, die sowohl mit zu langsamem Handeln (Abgabe von Wettbewerbsvorteilen) als auch mit zu schnellem Handeln (Verschwendung von Ressourcen und Aufmerksamkeit) verbunden sind.
Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Trotzdem ist die strategische Planung von entscheidender Bedeutung. Laut KPMG sollten Geschäftsbanken mögliche Szenarien zusammen mit ihren möglichen Auswirkungen und praktischen Reaktionen modellieren. KPMG glaubt jedoch, dass das digitale Euro-Regelwerk den Banken bereits eine gute Richtung vorgibt und die Grundlage für zukünftige Strategien bilden sollte.
Genauer gesagt ist KPMG der Meinung, dass Banken:
- Die größten potenziellen Disruptionsbereiche für ihre aktuellen Geschäfts- und Betriebsmodelle bewerten sollten, einschließlich Bereichen wie Finanzierungsstrategien, IT-Front- und Backend-Systeme (einschließlich Schnittstellen), Zahlungsstrategien, Transaktionsmanagement, Investitionsstrategien und die Notwendigkeit neuer externer Partnerschaften.
- Die potenziellen Auswirkungen auf Kunden- und Produktangebote bewerten sollten – einschließlich Einlagen, digitale Geldbörsen und digitale Vermögenswerte – sowie die potenziellen Auswirkungen auf aktuelle und zukünftige Einnahmequellen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar nach wie vor erhebliche Unsicherheiten bestehen, einschließlich der Unsicherheit über die letztendliche Zugkraft des digitalen Euro in Bezug auf die Reichweite oder ob es überhaupt möglich sein wird, eine souveräne Infrastruktur zur Unterstützung des digitalen Euro aufzubauen, aber die Klarheit über die tatsächlichen Merkmale eines künftigen digitalen Euro nimmt schnell zu. Viele Banken prüfen bereits aktiv die möglichen Auswirkungen eines digitalen Euro auf ihre Strategien und Operationen. Andere Institute sollten dasselbe tun, wenn sie die potenziellen Risiken mindern und mögliche Chancen nutzen wollen.
Vierteljährliche KPMG SSM Insights Newsletter-Mai Ausgabe
Quelle: KPMG Insights Mai 2024