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DVFA schärft Anforderungen an Aufsichtsräte nach

Der Investorenverband DVFA hat seine Position zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern mit Blick auf international etablierte Kriterien aktualisiert. Auch die HV-Saison 2024 habe gezeigt, dass hier viele Unternehmen nicht die Anforderungen von Investoren erfüllen.

Die Besetzung der Aufsichtsräte als Interessenvertreter der Anteilseigner ist in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus von Investoren gerückt. Professionalität und Unabhängigkeit der Gremienvertreter wird auf Aktionärsseite mit wachsender Vehemenz eingefordert.

Mögliche Interessenkonflikte speziell in ausgewiesenen Positionen in Aufsichtsräten, also im Vorsitz oder Ausschüssen, waren auch in der Hauptversammlungssaison 2024 ein Aufreger − etwa in der Nominierung ehemaliger Vorstandsvorsitzender für den Aufsichtsratsvorsitz. So wendeten sich US-Stimmrechtsberater etwa gegen die Wiederwahl der Aufsichtsratschefs von BASF und Munich Re. Die Einschätzung, inwieweit die Unabhängigkeit der Gremien gewährleistet ist, liegt zwischen Emittenten und Investoren oft noch weit auseinander.

Position aktualisiert

Der Investorenverband DVFA hat die anhaltende Diskussion über Unabhängigkeitsanforderungen auf internationaler Ebene zum Anlass genommen, seine erstmals 2018 veröffentlichte Position zu dem Thema zu überarbeiten. „Die Unabhängigkeit ist strategisch betrachtet ein Bindeglied zwischen vielen Governance-Themen“, unterstreicht Ingo Speich, Leiter des DVFA-Fachausschusses Governance & Stewardship, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Diskussion über Unabhängigkeitsanforderungen habe sich in den vergangenen Jahren international weiterentwickelt, was auch in den diesjährigen Hauptversammlungen deutlich geworden sei. Das habe die DVFA veranlasst, in den Kategorien nachzuschärfen.

Die DVFA habe sich mit Blick auf international etablierte Unabhängigkeitskriterien schon 2018 „klar positioniert“, sagt Hendrik Schmidt, der die Aktualisierung des DVFA-Positionspapiers federführend begleitet hat. „Die Nicht-Unabhängigkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder ist per se nicht schädlich“, erklärt Schmidt. Hinsichtlich der gesamten Besetzung der Kapitalseite und in herausgehobenen Ausschusspositionen müssten aus Sicht von Investoren aber bestimmte Unabhängigkeitsanforderungen erfüllt werden. 

Im Deutschen Corporate Governance Kodex wird das Thema aus Sicht der DVFA nicht ausreichend adressiert. Das freiwillige Regelwerk zur Unternehmenssteuerung gibt seit 2019 zwar einen Katalog an Indikatoren für mangelnde Unabhängigkeit vor. Es gibt aber keine klaren Ausschlusskriterien vor und stellt die abschließende Beurteilung in das eigene Ermessen des Aufsichtsrats.

Bewusstsein schärfen

Die DVFA habe über Jahre versucht, in dem Thema Interessenkonflikte mit den Emittenten einen Konsens zu finden, was aber nicht zufriedenstellend gelungen sei. Mit dem aktualisierten Positionspapier wolle der Investorenverband nach der Hauptversammlungssaison 2024 noch einmal das Bewusstsein im Markt schärfen, erläutert Schmidt.

In den Abstimmungsrunden auf den Aktionärstreffen der vergangenen Monaten habe man feststellen müssen, dass das Thema „fehlende Unabhängigkeit“ wieder gravierender geworden sei. „Die DVFA betrachtet es als ihre Aufgabe, die Integrität im Kapitalmarkt hochzuhalten und dafür deutlich die Stimme zu erheben“, betont Schmidt.

Der Kriterienkatalog der DVFA umfasst Mandatszeiten der Gremienvertreter, sowie deren Beziehungsgeflecht auf persönlicher und geschäftlicher Ebene sowie die Vereinbarkeit mit anderen Mandaten und beruflichen Tätigkeiten. Nach dieser Klassifizierung von Abhängigkeiten formuliert der Investorenverband das Ziel, dass mehr als die Hälfte der Anteilseignerbank im Aufsichtsrat unabhängig besetzt sein sollte. In der Rechnung soll ein Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden berücksichtig werden.

Die mehrheitlich unabhängige Besetzung der Kapitalvertreter im Aufsichtsrat soll sich nach den Vorgaben der DVFA auch in der Zusammensetzung wichtiger Ausschüsse spiegeln. Für den Vorsitz von Prüfungs-, Nominierungs- und Vergütungsausschuss verlangt der Investorenverband sogar eine Besetzung mit einem unabhängigen Aufsichtsratsmitglied. Für den Aufsichtsratsvorsitz ist die DVFA weniger streng, sofern das Gremium insgesamt mehrheitlich unabhängig ist.

Ausschüsse im Fokus

Als nicht unabhängig stuft die DVFA ein Aufsichtsratsmitglied ein, wenn es mehr als 10 Jahre im Amt ist. Großaktionärsvertreter gelten als nicht unabhängig, wenn sie direkt oder indirekt mehr als 10% des stimmberechtigten Kapitals vertreten. Ehemalige Vorstandsmitglieder werden grundsätzlich als nicht unabhängig eingestuft. Das gleiche gilt für qua Gesetz oder Satzung entsendete Aufsichtsräte.

Auch ehemalige Abschlussprüfer bzw. verantwortliche Prüfpartner stuft die DVFA grundsätzlich als nicht unabhängig ein. Ehemalige Vorstände von Prüfungsgesellschaften, die in der Vergangenheit mandatiert waren, werden bis zu einer externen Rotation des Abschlussprüfers ebenso eingruppiert.

Externes Urteil

Die DVFA beleuchtet auch, inwieweit Politiker oder bürokratische Amtsträger in Aufsichtsratsmandaten als unabhängig einzustufen sind. Werden sie während ihrer aktiven Amtszeit in ein Kontrollgremium gewählt, stuft der Investorenverband sie als nicht unabhängig ein. Personen mit hohem politischen Einfluss sind aus Sicht der DVFA grundsätzlich nicht für Aufsichtsratsposten geeignet. Mit Blick auf Transparenzerfordernisse und Validierung möchte die DVFA den Unternehmen mehr abverlangen, als es der Governance-Kodex vorsieht. „Wir schlagen vor, dass die mehrheitlich unabhängige Besetzung des Aufsichtsrats reflektiert wird über Qualifikationsmatrix, Lebensläufe und Kompetenzprofil“, sagt Schmidt. „Das verstehen wir auch als Hilfestellung, um sich zumindest für den deutschen Markt an einem harmonisierten Raster zu orientieren.“

Die DVFA gibt vor, die unternehmensinterne Einordung der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder regelmäßig, am besten jährlich, durch eine möglichst externe Effizienzprüfung zu validieren und bei Bedarf zu korrigieren.

Individuelle Interpretation

Aus Sicht des Investorenverbands fehlt es auf Emittentenseite an standardisierten Darstellungen von Interessenkonflikten. „Das Grundproblem einiger Unternehmen ist es, dass sie Unabhängigkeit sehr individuell interpretieren“, moniert Speich. Sie bescheinigten ihrem Aufsichtsrat in der jährlichen Erklärung zum Kodex eine ausreichende Unabhängigkeit. „Das entspricht dann aber nicht unseren Vorgaben“, so Speich. Was die Unternehmen mit Blick auf die Unabhängigkeit behaupteten, stehe nicht im Einklang mit den Kriterien der Investoren. „Und dann sind die Unternehmen erstaunt über das Votum der Anleger im Entlastungsbeschluss oder in Aufsichtsratswahlen“ ergänzt Schmidt.

Quelle: Börsen-Zeitung vom 16. Juli 2024, Zweitveröffentlichungsrecht

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