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„Nachhaltige Investitionen sind klar auf dem Vormarsch“

EIB-Präsident über Lehren aus der Covid-19-Pandemie, den Green- und Sustainability-Bondmarkt, EU-Nachhaltigkeitstaxonomie und künftige Herausforderungen.

Herr Hoyer, wir befinden uns mitten in der Covid-19-Pandemie, die in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht tiefe Spuren hinterlässt.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Krise mit?

Wir befinden uns jetzt seit einem guten Jahr im Krisenmodus, und das hinterlässt tatsächlich tiefe Spuren, vor allem in der Wirtschaft. Mit der EIB-Gruppe haben wir mit diversen Initiativen, unter anderem mit der Einrichtung des Europäischen Garantiefonds, der Finanzierungen für von der Krise betroffene Firmen bereitstellt, schnell reagiert. Aber auch politisch ist der Umgang mit der Pandemie natürlich eine enorme Herausforderung. Hier will ich allerdings positiv herausstellen, dass wir, eng abgestimmt mit Europäischer Kommission und Europäischem Stabilitätsmechanismus, in wenigen Monaten ein Hilfs- und Solidarpaket für die Wirtschaft über mehr als 500 Mrd. Euro aufgelegt haben. Das zeigt, dass die EU, zusammen mit den Mitgliedstaaten, an einem Strang zieht, wenn es darauf ankommt.

Und welche Erkenntnisse nimmt die EIB aus dieser Krise mit?

Unsere Investitionsumfrage, die wir regelmäßig bei mehr als 12 000 Unternehmen EU-weit durchführen, zeigt ein deutliches Dilemma: Auf der einen Seite bestätigen uns die Firmen, dass die Überwindung der Pandemie sowie der Kampf gegen den Klimawandel enorme Investitionen erfordern. Auf der anderen Seite wollen viele Betriebe wegen des aktuell schwierigen ökonomischen Umfelds ihre Ausgaben zurückfahren. Hier muss die öffentliche Hand Hilfestellung leisten. Wir müssen die Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie als Investitionsschub für mehr Klima- und Umweltschutz nutzen.

Wie soll das gehen?

Europa hat sich zum Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel erklärt. Bis zum Jahr 2050 wollen wir der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Das ist eine gigantische Aufgabe. Es geht dabei um den kompletten Umbau in eine nachhaltige Wirtschaft und die Fähigkeit europäischer Firmen, künftig auf globaler Bühne führend zu sein. Das funktioniert nur mit Innovation und neuer, digitaler Technologie. Grün und digital, beide bedingen sich. Aber das Ganze muss natürlich auch finanziert werden, und das kann die öffentliche Hand nicht allein stemmen. Das geht nur im Zusammenspiel mit privatem Geld. Dazu brauchen wir mit Blick auf die Investoren ein stabiles Regelwerk: die EU-Taxonomie-Verordnung.
Sie bietet die Chance für eine effiziente und ergebnisorientierte Zusammenarbeit von Politik und Kapitalmärkten, um Klimawandel und digitalen Umbau der Wirtschaft
zukunftsorientiert anzugehen.

Wie spiegelt sich konkret diese Entwicklung im Dialog der EIB mit den Kapitalmärkten wider?

Nachhaltige Investitionen sind klar auf dem Vormarsch, und zwar in allen Bereichen des Kapitalmarkts, bei Emittenten, Investoren, aber auch bei den Banken, die wegen ihrer Schlüsselstellung in der Wirtschaft eine besondere Rolle einnehmen.
Der neue, gesetzliche Rahmen der EU wird diesen Schwung noch weiter forcieren. Denn die Taxonomie-Verordnung verknüpft die Mittelaufnahme mit der Nachhaltigkeit der finanzierten Tätigkeiten und sorgt so dafür, dass Investoren wissen, in welche Projekte konkret ihr Geld fließt. Diese Transparenz ist ein Riesenschritt nach vorne und die Grundlage für den Nachfrageschub unserer Climate und Sustainability Awareness Bonds – die sogenannten CABs und SABs. 2020 haben wir in diesem Segment 10,5 Mrd. Euro emittiert, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr; 2021 bisher knapp 7 Mrd. Euro. Der Markt hat auf die Papiere extrem positiv reagiert.

Sind mit dem schnellen Wachstum nicht auch Risiken verbunden?

Ja, und genau deshalb hat sich die EIB von Anfang an für klare und einheitliche Regeln für alle Marktteilnehmer starkgemacht, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten und Green Washing vorzubeugen. Die Anleger müssen in der Lage sein, konkurrierende Marktprodukte kritisch zu vergleichen und zu bewerten.
Daher brauchen wir jetzt so schnell wie möglich stabile und gesetzlich verankerte technische Bewertungskriterien. Nur so können belastbare und überprüfbare Informationen bei Green Bonds sowie weiteren Nachhaltigkeitsprodukten sichergestellt werden. Davon werden Investoren und Emittenten gleichermaßen
profitieren, was sich letztendlich positiv auf das gesamte grüne Marktsegment auswirkt und Greenwashing unterbindet.

Die Covid-19-Krise hat das Thema Social und Sustainability an den Finanzmärkten sehr weit nach oben befördert – abzulesen ist dies an einer enormen Emissionstätigkeit, Rekordorderbüchern und anderen Meilensteinen. Was bedeutet das für die Relevanz dieses Themas in den nächsten Jahren?

Es gibt ein stetig wachsendes Investoreninteresse an Anleihen, die diese Dimensionen einbeziehen. Allein im vergangenen Jahr legte das Emissionsvolumen unserer SAB um fast 450 % zu. Jetzt gilt es, dieses Segment noch stärker im Markt zu verankern. Wir brauchen Klarheit in der Klassifizierung sozialer Tätigkeiten. Geplant ist, dass die EU-Kommission bis Ende des Jahres über die Erweiterung der Nachhaltigkeitstaxonomie auf soziale Zielvorgaben berichtet.

Social und Sustainability ist ebenso wie Green wichtiges Thema für Emittenten. Der ESM ist eine nachhaltige europäische Institution. Die EU ist seit dem Herbst Social-Bond-Emittent. Die EIB hat Green Bonds 2007 aus der Taufe gehoben und emittiert seit 2018 zusätzlich SAB. Werden die EU Institutionen dieses Thema unter dem Eindruck der Krise noch stärker angehen und sich noch nachhaltiger ausrichten?

Ja, die EU-Nachhaltigkeitstaxonomie ist integraler Bestandteil des EU Green Deals und ermöglicht so ein koordiniertes EU-weites Vorgehen. Bei der Aufbau- und Resilienzfazilität, dem Herzstück des EU-Wiederaufbauinstruments Next Generation EU, etwa sind die Mitgliedstaaten angehalten, ihre Investitionspläne mit den Prioritäten des Green Deals abzugleichen und auf die Taxonomie Bezug zu nehmen. Gleichzeitig arbeitet die Europäische Kommission daran, die Taxonomie in ihr Green-Bond-Rahmenwerk einzubetten.
Dass die Kommission rund 30 % der Mittel für Next Generation EU durch Green Bonds aufnehmen will, unterstreicht die Wichtigkeit dieser Entwicklung.

Und die EIB?

Wir verfügen in diesem Bereich über langjährige Erfahrungen. Wir haben 2007 das Green-Bond-Segment gestartet und wurden damals belächelt.
Heute ist der Markt über 900 Mrd. Euro schwer. Wir haben unsere Green Bonds über die Jahre kontinuierlich  angepasst. So haben wir etwa im Juni 2020 die Auswahlkriterien für CAB um innovative kohlenstoffarme Technologien und kohlenstoffarmen Transport erweitert. Wichtig ist auch, die öffentliche Wahrnehmung zu kritischen Themen in den Kriterien abzubilden. So ist bei den SAB seit Januar der Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme Teil des Rahmenwerks. Allerdings lassen Sie mich hier auch eine leise Warnung aussprechen: Wir müssen – bei aller Wichtigkeit eines klar definierten Regelwerks – auch aufpassen, dass wir das System nicht überbürokratisieren. Wir müssen die richtige Balance finden, um vor allem mittleren Unternehmen künftig aufgrund von zu hoher Komplexität nicht den Weg zu verbauen, grüne, nachhaltige und soziale Anleihen zu begeben.

Die Zentralbanken sind im Network for Greening the Financial System (NGFS) aktiv und nehmen sich des Themas an. Das Finanzsystem wird bei Fortsetzung dieses Trends immer mehr mit anderen, neuen Risikofaktoren konfrontiert. Welche Bedeutung wird dieses Thema in den nächsten Jahren für die Zentralbanken erreichen? Muss die Geldpolitik um eine grüne und nachhaltige Komponente ergänzt werden?

Es gibt in dieser Richtung klare Signale. Dem Netzwerk NGFS gehören heute fast 90 Zentralbanken und Finanzmarktaufsichtsbehörden so – wie ein gutes Duzend Beobachter an, darunter auch die EIB. Auch die US-No tenbank ist mit an Bord. Seit 2018 beschäftigt sich das Netzwerk damit, klimabezogene Risiken gezielter im Zusammenhang mit der Sicherung der Finanzstabilität zu erfassen. Dass die Fed mit von der Partie ist, möchte ich besonders hervorheben. Europa strebt im Kampf gegen den Klimawandel eine Vorreiterrolle an, gelöst werden kann das Problem aber nur im internationalen Schulterschluss. Deshalb müssen wir, jetzt, wo die USA wieder zum Multilateralismus zurückgekehrt sind, aktiv auf Washington zugehen. Die Zeiten, sich bei den globalen Themen hinter Amerikas breitem Rücken wegzuducken, müssen ein Ende haben. Europa kann – und sollte – bei strategisch zentralen Themen, wie in der Sicherheitspolitik und im Kampf gegen den Klimawandel, eine globale Führungsrolle einnehmen.

Die EIB gehört zusammen mit der International Capital Market Association – ICMA – zu den bedeutenden Institutionen, die den Themenkomplex Sustainability auch auf EU-Ebene maßgeblich vorantreiben. Können Sie skizzieren, auf welche Meilensteine sich Marktteilnehmer in den nächsten Jahren einstellen können?

Ein Meilenstein ist die im Juli 2020 in Kraft getretene EU-Taxonomie-Verordnung, die auch die weiteren Schritte definiert: So sollen die Kriterien für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel Anfang 2022, die Kriterien für Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Kreislaufwirtschaft, Verminderung der Umweltverschmutzung, und Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität Anfang 2023 feststehen. In Kürze wird die EU-Kommission zudem eine Verordnung über einen EU-Green-Bond-Standard vorlegen, der die Verwendung der Mittel mit der Taxonomie verknüpft. Wir haben die Bedeutung dieser Entwicklung erst kürzlich durch einen 1,5 Mrd. Dollar Global CAB auch international hervorgehoben. Die Anleihe wurde vierfach überzeichnet und zur Hälfte außerhalb der EU platziert. Sie wurde der tausendste Bond mit Nachhaltigkeitsfokus an der Luxemburger grünen Börse, was den Wert der EU-Aktion für den gesamten Markt symbolisch untermauert.

Ist die Finanzindustrie, insbesondere die Assetmanagement-Industrie für diese Entwicklung zu grünen und nachhaltigen Finanzmärkten ausreichend vorbereitet, und was fordern Sie von Marktteilnehmern in diesem Entwicklungsprozess, in dem es um Seriosität, Transparenz und Stabilität geht?

Eine Studie der Vereinten Nationen – Principles for Responsible Investment – vom September 2020 legt nahe, die EU-Taxonomie für Investitionsentscheidungen zu operationalisieren. Sie empfiehlt Anlegern, die Taxonomie in ihre Investmentstrategie einzubetten. Es fehlt also nicht an der Orientierung. Allerdings müssen Investoren, die nachhaltig anlegen wollen, dies auch beherzigen, indem sie dem Markt durch den Kauf mit der Taxonomie abgestimmter Green Bonds den nötigen Schub verleihen.

Insbesondere die Sustainability- Ratingagenturen sind künftig noch stärker gefordert, wenn sich immer mehr Emittenten, Assetmanager und andere Marktteilnehmer dem Sustainability-Trend anschließen. Sie arbeiten alle mit unterschiedlichen Metrics, was weder einfach noch wünschenswert
ist. Was sollten sich die Agenturen ins Pflichtenheft schreiben?

Ich möchte vorwegschicken, ich bin in der Ratingfrage kein Experte. Der Markt für Nachhaltigkeitsratings ist ein junger Markt, der bislang nicht reguliert ist und daher reifen muss. Es ist daher auch nachvollziehbar, das hat eine Umfrage der Kommission ergeben, dass mehr als 90 % der Befragten Qualität und Relevanz von ESG-Ratings als unzureichend für Investitionsentscheidungen ansehen.
Ihre Kritik: Zu viele unterschiedliche Methodologien sowie ein Mangel an Transparenz und Vergleichbarkeit der Bewertungen.

Ist das nicht Grund zum Handeln?

In derselben Umfrage befürworteten mehr als 70 %, die EU solle im Bereich Nachhaltigkeitsforschung und -ratings aktiv werden. Ich bin ebenfalls der Überzeugung, dass wir hier Fortschritte machen müssen – und wir haben dazu eine solide Grundlage. Die EU-Taxonomie-Verordnung etabliert eine Kerndefinition von Nachhaltigkeit, die als gemeinsames Fundament aller Markteilnehmer dienen kann. Allerdings gibt es Verbesserungspotenzial hinsichtlich Verfügbarkeit, Qualität und Standardisierung der nachhaltigkeitsbezogenen Informationen. Ein zentrales Thema ist zudem, ob Prüfer für EU-Green-Bonds von einer zentralen EU-Behörde beaufsichtigt werden sollen, um Integrität, Transparenz und Standards zu verbessern. Ich denke, dass auch hier potenziell Handlungsbedarf besteht. Was in diesem Zusammenhang Mut macht,  ist, dass die ersten Sustainability Ratingagenturen bereits begonnen haben, die Taxonomie-Verordnung als Kernreferenz für ihre Analysen zu verwenden.

Quelle: Börsen-Zeitung, 29. Mai 2021, Kai Johannsen, © Alle Rechte vorbehalten.

Image: Pixabay/geralt

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