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Online-Wertpapier-Brokerage auf Wachstumskurs

Ein Frankfurt Main Finance Interview mit Dr. René Fischer, Partner bei Oliver Wyman, und Philipp Bulis, Principal bei Oliver Wyman zur aktuellen „Oliver Wyman Online-Brokerage-Analyse 2021“.

2020 war trotz der COVID-19-Krise für den deutschen Wertpapiermarkt und speziell für „Online-Broker“ ein Rekordjahr. Die aktuelle Analyse „Online-Wertpapier-Brokerage 2021“ von Frankfurt Main Finance Mitglied Oliver Wyman kommt zu dem Schluss, dass die Erlöse für Orderprovisionen und sonstige Erträge der Online-Broker um zwei Drittel auf circa 1,7 Milliarden Euro angestiegen sind. „Der deutsche Markt für Online-Broker steht gut da und wird auch die nächsten Jahre weiter wachsen“, sagen die Autoren und Oliver Wyman Berater Dr. René Fischer und Philipp Bulis im Gespräch mit Frankfurt Main Finance.

2020 haben Sie die „Online-Wertpapier-Brokerage“-Analyse zum ersten Mal veröffentlicht, inwiefern hat sich der Markt seitdem verändert?

Da gibt es drei wesentliche Punkte:

  1. Das Jahr 2020 war gegenüber 2019 und allen vorhergegangenen Jahren ein Rekordjahr. Die Anzahl für Kunden durchgeführter Transaktionen – für Online-Broker und Wertpapierfirmen ist das die wichtigste Kennzahl – hat sich gegenüber 2019 verdoppelt. Die erzielten Erträge haben sich um zwei Drittel gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Es sind eine Million neue Kunden in den Markt gekommen, ein Anstieg von 25%. Da hat die Unsicherheit und Volatilität am Markt, die Covid mit sich gebracht hat, sehr viel zu beigetragen. Das ist Übrigens nicht nur in Deutschland so, sondern auch im Rest von Europa und auch in den USA.
  2. Wir sehen immer mehr, dass sich ETF-Sparpläne auf breiter Basis durchsetzen und immer mehr Online-Broker dazu übergehen ETF-Sparpläne ohne Kaufgebühren anzubieten. Daher haben wir uns auch erstmalig in der Studie dazu entschieden die ETF-Sparpläne getrennt auszuweisen. Wenn in 2019 und 2020 die ETF-Sparpläne 15-20% aller Transaktionen ausgemacht haben, so werden es 2025 fast die Hälfte sein! Das ist für Online-Broker wichtig, weil man mit ETF-Sparplänen nicht so viel verdient wie mit dem Handel von Einzeltiteln. Darauf verzichten kann man wegen der hohen Bedeutung von ETF-Sparplänen für die Kundengewinnung und -bindung aber auch nicht.
  3. Die „Neobroker“, das sind nach 2018 gegründete Online-Broker, die meist auf ein Null-Gebühren-Modell gegenüber dem Endkunden setzen, gewinnen sehr schnell Marktanteile. Das Rekordjahr 2020 hat die Entwicklung begünstigt – das Wachstum ist noch viel schneller gegangen und das lockt auch wieder finanzkräftige Investoren an, die das Wachstum mit ihren Investitionen weiter befeuern wollen. Innerhalb von 2 Jahren haben Neobroker in Deutschland schon circa 8% Marktanteil erreicht, bis 2023 halten wir 25% Marktanteil für Neobroker im deutschen Markt realistisch.

„Online-Broker“ zählen zu den wenigen Gewinnern der COVID-19-Krise. Werden sich diese Entwicklung vorsetzen?

Ja, wir werden langfristig weiter ein strukturelles Wachstum sehen. Neben einer kontinuierlich weiter laufenden Umstellung auf digitale Angebote, ist insbesondere das Niedrigzinsumfeld ein sehr starker Treiber. Seit der Nominalzins auf nahezu Null oder gar in Minuszinsen gerutscht ist, beobachten wir wieder ein Wachstum der Wertpapierdepots bei den privaten Haushalten in Deutschland. Das war lange Jahre nicht so. Und diese positive Entwicklung gilt übrigens nicht erst seit 2020, sondern war auch schon mehrere Jahre vorher beobachtbar. Solange sich das Zinsniveau also nicht komplett dreht, wird es weiter ein Wachstum geben und die Entwicklung wird sich fortsetzen.

Eine kleine Einschränkung: 2021 wird der Markt sehr wahrscheinlich zuerst wieder etwas zurückgehen. 2020 war ein außergewöhnliches Jahr. Sowas kann sich am Markt nur wiederholen, wenn wir die nächsten Jahre regelmäßig außergewöhnliche Ereignisse haben wie in 2020 die COVID-19-Krise. Es liegt in der Natur der Sache, dass außergewöhnliche Ereignisse nicht jedes Jahr eintreffen. Insofern gehen wir davon aus, dass 2021 deutlich unter dem Niveau von 2020 bleiben wird und es auch bis 2025 dauern wird, bis wir das Niveau von 2020 wieder erreicht haben. Wobei wir natürlich auch keine Glaskugel haben was die kommenden Jahre alles passieren könnte … 🙂

Ein kurzer Blick über den Tellerrand: Wie sehen die Online-Brokerage-Entwicklungen in anderen europäischen Ländern aus?

Die wichtigste Erkenntnis bei unseren Recherchen und Marktgesprächen war, dass sich die andere Europäischen Länder vom deutschen Markt in der Entwicklung gar nicht so sehr unterscheiden. Klar, es gibt Unterschiede von Land zu Land zum Beispiel darin, wie das Thema Wertpapieranlage und private Altersvorsorge steuerlich gefördert wird. Da ist insbesondere Schweden zu nennen, die da sehr progressiv sind und dadurch einen sehr großen Brokerage-Markt haben. Und es gibt auch hier und da leichte Unterschiede wie der jeweilige Regulator auf den Markt schaut. Aber unter dem Strich sind in 2020 nahezu alle Märkte ähnlich stark gewachsen, das Thema Wertpapiere kommt überall auf die Agenda und es gibt in Europa noch nicht den einen dominierenden europäischen Anbieter, der alle Märkte auf sich vereint, auch wenn da die vergangenen Jahre deutlich mehr Musik in das Thema Internationalisierung gekommen ist. Der deutsche Markt und auch der Standort Frankfurt ist in der Hinsicht mit seinen Akteuren gut aufgestellt.

Zur Person

Dr. René Fischer ist Partner bei Oliver Wyman in Frankfurt. Er betreut vorwiegend Mandate für Groß- und Regionalbanken, Privatbanken und Asset Manager in Deutschland und der EMEA Region. Sein thematischer Schwerpunkt liegt im Privatkundengeschäft, Private Banking und Asset Management.

Philipp Bulis ist Principal bei Oliver Wyman mit Spezialisierung auf Financial Services. Er leitet überwiegend Mandate für Groß- und Regionalbanken, Privatbanken, Asset Manager und Private Equity-Investoren in Deutschland und der EMEA Region. Sein thematischer Schwerpunkt liegt im Privatkundengeschäft, Private Banking und Asset Management.

Gemeinsam haben sie die „Online-Brokerage-Analyse 2021“ verfasst.

Titelbild: Thought Catalog via Unsplash.

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