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Europa mangelt es an einheitlichen Regeln – Marc Roberts im BÖZ-Interview

Am 16. Juni wurde die European Fintech Association (EFA) in Brüssel gegründet. Sie will als Interessenvertretung europäischer Fintechs Themen der digitalen Finanzagenda in der EU vorantreiben. Marc Roberts, Vorsitzender des EFA-Boards, spricht im Interview über Ausrichtung, Ziele und Potenziale des Verbands.

Am 16. Juni wurde die European Fintech Association (EFA) in Brüssel gegründet. Sie will als Interessenvertretung europäischer Fintechs Themen der digitalen Finanzagenda in der EU vorantreiben. Marc Roberts, Vorsitzender des EFA-Boards, spricht im Interview über Ausrichtung, Ziele und Potenziale des Verbands.

Der Vorsitzende der frisch gegründeten European Fintech Association zu den Plänen der neuen Interessenvertretung für Finanz-Start-ups.

  • Herr Roberts, die jüngst gegründete European Fintech Association soll zum Sprachrohr europäischer Fintechs werden. Nun stammen elf der 21 Gründungsmitglieder aus Deutschland, und im sechsköpfigen Board sitzen drei deutsche Start-ups. Ist das nicht eine Unwucht schon zum Auftakt?

Es gibt tatsächlich noch ein Übergewicht an deutschen Fintechs im Verband. Wir sind dabei, das auszugleichen und europaweit Fintechs zu akquirieren. Einige werden in der nächsten Zeit dazukommen. Die Initiative wurde nun mal in Deutschland gestartet, vor allem aus einer Kooperation zwischen Raisin, N26, Transferwise und Finleap heraus. Aber auch im Board haben wir uns bemüht, Raum für eine europäische Perspektive zu schaffen.

  • Unter den Gründungsmitgliedern sind vier UK-Fintechs. Was versprechen diese sich angesichts des Brexit von einer Mitwirkung in einem Verband, der vornehmlich in der Europäischen Union agiert?

Bei den britischen Fintechs gibt es natürlich einige, die sich auf den Heimatmarkt beschränken, aber auch viele – und dazu gehören unsere Mitglieder – die weiterhin auf dem europäischen Markt tätig sein wollen. Wichtig ist, dass sie ein Interesse an den einheitlichen europäischen Themen haben. Es geht im Schwerpunkt nicht um Brexit-Themen, sondern um die Services innerhalb der EU. Und für britische Fintechs, die in Europa tätig sind, stellen sich die gleichen Fragen auch weiterhin.

  • Welche Voraussetzungen muss ein Mitglied mitbringen?

Es gibt letztlich drei Voraussetzungen. Zunächst muss es sich um ein europäisches Fintech handeln. Das bedeutet nicht, dass es in Europa gegründet worden sein muss. Es muss ein echtes Interesse an einer schwerpunktmäßigen Tätigkeit in Europa haben und hier Policy-Themen vorantreiben wollen. Und es muss grenzüberschreitend tätig sein. Dazu kommt der Tech-Hintergrund, es muss also technologiebasierte Dienstleistungen erbringen.

  • Ihre Lobbyarbeit für Fintechs soll sich an der Digital-Finance-Strategie der EU-Kommission orientieren. Wo gibt es Handlungsbedarf?

Ein zentraler Punkt ist, dass digitale Finanzdienstleistungen echte Vorteile für Kunden, Unternehmen und auch für den Regulator bringen. Beispielsweise dadurch, dass Dienstleistungen besonders transparent sind, Kosten einsparen oder Produktinnovation abbilden. Die gegenwärtige Regulierung ist immer noch sehr auf manuelle, eher analoge Prozesse zugeschnitten. Das sieht man insbesondere bei der Identifikation der Kunden. Dabei werden die Vorteile der digitalen Dienstleistungen nicht berücksichtigt – bei Eröffnung von Geschäftsprozessen, aber auch bei vielen anderen den Verbraucher schützenden Regelungen. Letztlich beruht das immer noch darauf, dass man dem Kunden sehr viel Papier zur Verfügung stellt. In digitalen Prozessen ist das nicht sinnvoll abbildbar. Verbraucherschutz ist dabei natürlich wichtig, dennoch sollte man bewerten, was in einem digitalen Prozess wirklich sinnvoll ist.

  • Könnten Sie das am Beispiel Identifikation näher illustrieren?

In diesem Feld ist es so, dass die europäische Regulierung keine einheitlichen Identifikationsmethoden benennt. Es kommt darauf an, welche Methoden der jeweilige Mitgliedstaat zulässt, und das ist jeweils unterschiedlich. Im Grunde genommen gehen die meisten Mitgliedstaaten davon aus, dass ein Kunde von Angesicht zu Angesicht identifiziert wird. Das kann in einer Bankfiliale sein oder in Deutschland zum Beispiel mittels Videoident- oder Postident-Verfahren. Für digitale Anbieter sind das keine optimalen Prozesse, da der Kunde aus dem Angebot rausgehen und etwas ganz anderes machen muss. Der normale Ablauf des Geschäfts wird unterbrochen und muss dann neu gestartet werden. Hier wäre eine Vereinheitlichung mit einer europaweit geltenden Identifikationsmethode wünschenswert.

  • Wo sehen Sie noch akuten Handlungsbedarf?

Es gibt Regelungen, die grenzüberschreitende Dienstleistungen erheblich erschweren – etwa die IBAN-Diskriminierung. Das bedeutet beispielsweise in der Praxis, dass eine französische Stromrechnung nur schwer von einem deutschen Konto bezahlt werden kann. Entsprechend muss ein deutsches Fintech, um auf dem französischen Markt tätig zu werden, eine Niederlassung in Frankreich haben – nur um eine französische IBAN zu bekommen. Außerdem gibt es spezielle Regelungen im Verbraucherschutz, die etwa für sehr einfache und transparente Produkte wie Tages- und Festgelder bedeuten, dass der Zinssatz unterschiedlich dargestellt werden muss. Für jedes Land muss dafür ein eigenes Konzept entwickelt werden, wie man das macht – mit Steuern, ohne Steuern und so weiter und so fort.

  • Beim Thema Geldwäsche werden oftmals fragmentierte Regelungen moniert. Wie sehen hier Ihre Vorstellungen aus?

Wie bereits beschrieben, haben wir da zum einen mit unterschiedlich geregelten Vorgaben zur digitalen Identifikation zu tun. Darüber hinaus gibt es einen für Kooperationen extrem wichtigen Bereich, das sogenannte Verlassen auf Dritte. Wenn ein Produkt von einem Fintech zum Beispiel bei einer Bank integriert wird, möchte die Bank natürlich nicht, dass der Kunde erneut identifiziert werden muss, das ist ja ein Bestandskunde. Für die Integration des neuen Produkts sollte die vorliegende Identifikation erneut genutzt werden können. Das ist zwar innerhalb der Europäischen Union zugelassen, samt Regelung in der europäischen Geldwäscherichtlinie. Aber es gibt dann sogenanntes Goldplating.

  • Was meinen Sie damit?

Das bedeutet, man hat nationale Regelungen, die zusätzliche Anforderungen für dieses Verlassen auf Dritte haben. Beispielsweise ein Zeitlimit, nach dem die erste Identifizierung nicht älter als zwei Jahre sein darf, oder die Erfordernis eines schriftlichen Vertrages oder dass es sich im ersten Schritt um eine Face-To-Face-Identifikation gehandelt haben muss. Auch bei den neuen Dienstleistungen unter PSD2, also Zahlungsauslöse- und Kontoinformationsdienste, gibt es sehr unterschiedliche Regelungen dazu, ob diese Anbieter geldwäscherechtlich Verpflichtete sind oder nicht. Je nach Mitgliedstaat wird das unterschiedlich geregelt, insbesondere welche Pflichten für diese Anbieter gelten. Das heißt, man muss sich dann immer im jeweiligen Land ansehen, wie die Regelungen sind, die für die jeweilige Dienstleistung gelten.

  • Wie ließe sich das lösen?

Da geht es primär um Vereinheitlichung auf europäischer Ebene. Das ist ein relativ langer Prozess, weil das erst entschieden, mit den Mitgliedstaaten und Ministerien diskutiert und dann umgesetzt werden muss. Gleichzeitig gibt es aber auch bestimmte Bereiche, die relativ schnell geregelt werden könnten. Ein Beispiel wäre die Anpassung von Guidelines der europäischen Bankenaufsicht EBA, um zu ermöglichen, dass bestimmte Bereiche etwa als nicht risikoreich angesehen werden und die entsprechenden Pflichten da nicht gelten. Es gibt also auch unterhalb der Ebene der Gesetzgebung Möglichkeiten, für bestimmte Geschäftsmodelle erhebliche Vereinfachungen einzuführen.

  • Manche Fintechs hätten gerne so wie in UK eine Sandbox. Ist das auch eine Stoßrichtung für Sie?

Sandboxes sind ein sehr spannendes Thema, insbesondere als Möglichkeit für neuere Fintechs oder Neugründungen, mit dem Regulator in ersten Kontakt zu kommen. Was aus unserer Sicht noch wichtiger ist, ist der Austausch auf europäischer Ebene zwischen den Regulatoren zu neuen Geschäftsmodellen. Häufig ist es so, dass sich jedes Land mit jedem Geschäftsmodell wieder neu befassen muss und man immer wieder bei null anfängt. Es gibt keinen grenzüberschreitenden Austausch. Aus unserer Sicht wäre eine Art Fintech Hub auf europäischer Ebene wirklich sinnvoll. Und das ist auch ein Punkt, bei dem wir mit der Europäischen Kommission in den Austausch gehen.

  • Sehen Sie auch beim Thema Datenschutz Änderungsbedarf?

Zum Datenschutz, der für alle unsere Mitglieder eine Rolle spielt, gibt es unterschiedliche Ansichten, je nach Mitgliedstaat. Gleichzeitig gibt es mit der DSGVO eine einheitliche Regulierung auf europäischer Ebene. Das ist schon eine relativ weitreichende Harmonisierung. Aber es gibt zusätzliche Regelungen jeweils auf nationaler Ebene, die strenger oder weniger streng sind. Frankreich ist verglichen mit anderen Ländern beispielsweise sehr streng. In Deutschland ist das ebenfalls so. Gerade im Finanzbereich spielt Datenschutz eine sehr große Rolle. Gleichzeitig sind wir aber der Meinung, dass das Datenschutzthema nicht missbraucht werden sollte, um bestimmte neue Entwicklungen zu diskreditieren.

  • Wie meinen Sie das?

Zum Beispiel wurde im Bereich der Öffnung der Kontenschnittstellen im Rahmen der PSD2 nach unserer Einschätzung dieses Datenschutzthema schon sehr in den Vordergrund gerückt, um bestimmte Geschäftsmodelle zu schützen. Das hat dazu geführt, dass eine Regelung entstanden ist, die keinem hilft – insbesondere nicht den Kunden, aber auch den Fintechs nicht.

  • Es wird oft moniert, dass wir keine European Champions haben. Wie kann Europa wettbewerbsfähig bleiben? Wo sehen Sie Nachteile gegenüber anderen Regionen?

Häufig heißt es: Wenn man mit dem Auto über die Grenze fährt, muss man sich ja auch an die Verkehrsregeln in dem anderen Land halten. Tatsächlich ist bezogen auf grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen das Bild ein bisschen schief. Denn wenn man über die Grenze fährt, muss man sein Auto nicht umbauen. Doch wenn man zum Beispiel eine Plattform jenseits der Grenze in einem anderen europäischen Land etablieren will, dann ist das ein Projekt von sechs bis acht Monaten. Man muss die Dokumentationen und auch das Produkt anpassen sowie die Konditionen so gestalten, dass sie mit dem lokalen Recht übereinstimmen. Es gibt keine einheitliche Regelung, damit man in ganz Europa Kunden ansprechen und die volle Kapazität des Marktes ausnutzen kann.

  • Gibt es noch andere Hindernisse?

Für Unternehmen ist es zum Beispiel erheblich schwieriger in Europa, Talente zu rekrutieren, weil die Regelungen zur Mitarbeiterbeteiligung an Optionsprogrammen schwierig sind, vor allem in steuerlicher Hinsicht. Das ist ein Problem, das unbedingt angegangen werden muss, weil es für die Innovationskraft innerhalb Europas schlecht ist, wenn man die besten Talente nicht anwerben kann, obwohl man eigentlich Möglichkeiten zur Incentivierung hätte. Die Logik dahinter verstehe ich, doch es bräuchte ein europäisches Aktienoptionsprogramm. Die bestehenden Mitarbeiterbeteiligungsprogramme funktionieren immer nur in einem Land nach dem jeweiligen Landesrecht. Wenn man einen Mitarbeiter hat, der lieber in Barcelona leben möchte, dann muss man ein neues Programm aufsetzen. Und das ist natürlich schon schwierig, erstmal ein komplett neues Programm aufzusetzen, um jemanden zu akquirieren, nur weil er woanders in Europa tätig sein möchte.

  • Wie schätzen Sie die von Corona geprägte Lage der Fintechs derzeit in Deutschland und Europa ein?

Das hat natürlich einen erheblichen Einfluss auch auf Fintechs. Bei stark wachsenden Unternehmen gibt es immer wieder Finanzierungsbedarf, und wir sehen, dass sich in den Finanzierungsrunden die Situation durch diese Covid-19-Krise nicht verbessert hat. Es ist nicht unmöglich geworden, Finanzierungsrunden zu stemmen, auch große Finanzierungsrunden, aber die Ausgangslage ist anders als vor der Krise. Das Gleiche gilt auch für das Recruiting.

  • Inwiefern?

Es gibt jetzt erstmal einen Hiring Freeze, weil es mit Remote-Verfahren sehr schwierig ist, neue Mitarbeiter einzuarbeiten. Und es ist natürlich auch bei Fintechs dazu gekommen, dass Mitarbeiter reduziert wurden. Gleichzeitig ist erkennbar, dass die meisten Fintechs gut aufgestellt sind, erstens durch ihr Geschäftsmodell, denn digitale Dienstleistungen können grundsätzlich weiterhin angeboten werden. Zweitens hatten die Mitarbeiter weniger Probleme mit den erforderlichen Umstellungen, weil viele der Dienstleistungen oder der Arbeitsweisen natürlich sehr agil und internet- sowie cloudgetrieben sind. Und insgesamt muss man feststellen, dass Fintechs in dieser Phase gezeigt haben, dass ihre Produktangebote relevant sind.

Quelle: Börsen-Zeitung, 7. Juli 2020, Franz Công Bùi, © Alle Rechte vorbehalten.

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